Jonathan Kaplans ›Western Girls‹

Schießbudenfiguren

Wenn Frauen im Film schießen, müssen schon außerordentliche Gründe vorliegen. Außerhalb der Ordnung der Welt der schießenden Männer und gleichzeitig diese Ordnung angreifend. Die Gründe müssen mit sogenannter »weiblicher Erfahrung« korrespondieren, sonst könnten ja gleich die Männer als Männer schießen, und dann hätte man den Film falsch besetzt – vorausgesetzt natürlich, es handelt sich um ein explizites Frauen-Schießen, ein Schießen der Frauen, das sich von selbst verstehen soll. Eine plausible Erklärung muß also her, ein logischer Aufhänger, der das alles so ein bißchen erklärt. Oder in anderen Worten: die Frau muß belästigt oder vergewaltigt worden sein, und hin und wieder sogar mehrfach, und Hollywood möchte, daß sie sich rächt.

Das war nicht immer so. Der Horror-Underground ging einen langen Weg, bis er den Opfern von Vergewaltigungen den Vorschlag unterbreitete, sich auf Leinwand zu rächen: von den trashigen Rape-Revenge-Filmen der 70er und frühen 80er bis ins Mainstream-Kino (›Thelma & Louise‹). Einiges spricht dafür, daß der Trend rückläufig ist (›The Crow‹). ›Bad Girls‹, der neue Film von ›Accused‹-Regisseur Jonathan Kaplan hat, und das ist immerhin eine Menge, gleich vier kräftige farbenprächtige Frauen und Pferde aufzuweisen, denn ›Bad Girls‹ ist ein Western. Dies »Sich-selbst-Verstehende« des Frauen-Schießens versteht sich im Western-Genre sowieso von selbst. Den Männer-Regeln, den Western-Männer-Regeln, wollen die »Bad Girls« nicht gehorchen, deshalb erkämpfen sie ja eigene, moralischere.

So ist Anita, eine Prostituierte in einem Saloon oder Bordell von einem brutal zudringlichen Bürger schwer mißhandelt worden, woraufhin die schöne Saloonbesitzerin Cody (Madeleine Stowe) ihn aus Notwehr erschießt. Dafür wird sie gejagt.

Da tauchen aus dem Nichts drei reitende Frauen auf, ebenfalls Prostituierte, um sie zu retten. Sie tauchen wirklich aus dem Nichts auf, aber so als würden sie bereits erwartet. Sie flüchten auch vor einem Dasein als Hure, was sich dem Zuschauer ebenfalls logisch erschließt, und sind jetzt also gemeinsam auf der Flucht. Und das bleiben sie auch bis zum Ende des Films. Dazwischen haben sie jede Menge gefährlichen Ärger – aber alle vier überleben sie diesen Film, und das ist ja das Wichtigste. Denn als Western lebt ›Bad Girls‹ durchaus von dem klassischen Aha-Effekt, laß die Guten siegen, bedient dabei glücklicherweise aber nicht nur Klischees. Im weiteren Verlauf thematisiert der Film beispielsweise nicht die Bildung der Solidarität, sondern das Zusammenbleiben und kaschiert allzu Schrilles durch gute Dialoge.

Die beim Zuschauen stets abrufbereiten Bilder der »Amazonengarden«, der »kastrierenden Flintenweiber« haben dabei auch ihr Gutes, weil Unrealistisches. Sie belegen zusätzlich zu Recht die Kolportagehaftigkeit der »Charaktere« und der Erzählung, als auch ihr Verhaftetsein im Western-Genre sowie die Rückdatierung ins vorige Jahrhundert, in eine scheinbar weniger »zivilisierte« Welt. So kann Jonathan Kaplan in ›Bad Girls‹ die Gegensätze auch mal wieder egal sein lassen und kommt trotzdem zu spektakulären Ergebnissen.

Und das ist das Gute an dieser Art Kolportage: weil die Charaktere immer auch als Schießbudenfigürchen angelegt sind, die Semantik derbe, die Spannung solide ist, wird auf der anderen Seite Kitsch, Rührseligkeit, Interessantizismus vermieden. Was einen natürlich auch gruseln kann.

(KG, SPEX, 1993)