Queen Latifah – Vernunft ist eine Leidenschaft

HipHop-Diva in Jeans

»Somehow I had always known that one of the biggest struggles of growing up would be never allow anyone to make me think I was bad.«
Michelle Wallace

 

Sie mag sich künstlerisch nicht unbedingt festlegen – daher braucht Queen Latifah ein um so eindeutigeres Umfeld, das ihren stilistischen Facettenreichtum erdet. Auf dem 89er-Debüt-Album ›All Hail The Queen‹ waren es die sehr direkten synthetisch-monotonen Beats und Drumsounds von DJ Mark The 45 King, die alles, von elegant-jazzigen Saxophoneinlagen bis zum partyträchtigen Ragga-Duett mit Daddy-O, in eine kohärente Form brachten. Aber die große Verfeinerungsphase stand noch bevor. Auf ›Nature Of A Sista‹ setzte Latifah 1991 die Raggaismen bis in die Vocals fort: Das war ihre R&B-, ihre dezente House- und Clubsoul-Phase, wo jazzige Keyboards vielen verstreuten Tönchen und Mini-Kurswechselchen Platz machten.

Mit der neuen CD ›Black Reign‹ hat sie vieles wieder fetter ins Lot gesetzt. Feinheiten werden über einen relaxten Sound kommuniziert, der aus jeder möglichen Überfrachtung einen erkennbaren, linear verlaufenden Überschuß macht. Und es hat sich bereits gelohnt. ›Black Reign‹ hat gerade Gold bekommen, ein Wechsel von Tommy Boy zu Motown war dafür nötig.

Queen Latifah: »Wir hatten unterschiedliche Auffassungen von meiner Größenordnung. Tommy Boy sah mich auf einer unteren Verkaufsstufe, aber ich wollte mal richtig gut verkaufen!«

Andererseits, räumt die Queen ein, sei sie auch milde enttäuscht von »nur« einer halben Million verkaufter Schallplatten, denn schließlich ist sie doch der Female-HipHop-Top-Act schlechthin; und was sei da schon eine Gold-Schallplatte, im Vergleich zum Platin und Doppel-Platin ihrer Jungs, zumal sie doch fester Bestandteil einer der großen Ostküsten-HipHop-Familien ist.

»Aber nun gut, ich will nicht undankbar sein«, sagt Queen Latifah und lacht und erklärt freundlich und beherrscht ihre Lage: »Die HipHop-Konsumenten können sich halt nicht so gut mit weiblichen Rappern identifizieren«, sagt die Queen, die heute Jeans trägt, und sich zum Interview neben mich, anstatt wie bei Interviews eher üblich, mir gegenüber gesetzt hat. Ja, die Identifikationsleistungen, denke ich. Und vielleicht hat ihr großer, mäßiger Erfolg auch damit zu tun, daß ihre Musik immer dann ausufert, wenn sie die Mäßigung fordert. Differenzen scheinen weniger denn je zu vereinen, und sie sind keine Verkaufsargumente.

 

Role Models

 

Seit Latifah in der wöchentlichen US-Sit-Com ›Living Single‹ die »willensstarke« Geschäftsfrau Kadijah spielt, beschreibt die Presse sie als perfektes »Black Female Role Model«. Ohne die interessanten Effekte solcherart Repräsentation zu leugnen, kann man gegenüber der abstrakt-universellen Idee von Rollenmodellen auch skeptisch sein. Natürlich ist Queen Latifah eine Ausnahme, aber wenn der Lifestyle-Sektor seine einfallslosen Loblieder auf Ausnahmefrauen bringt, konstruiert er damit eben auch neue Ausschlüsse – und zu ihrer Entlastung wieder neue Ausnahmefrauen.

Außerdem habe ich etwas Scheu, sie während des Gesprächs mit gerade angelesener Theorie zu nerven. Auch die wissenschaftspoetischen Texte der Kulturwissenschaftlerinnen Michelle Wallace oder Tricia Rose scheinen mir, atmosphärisch, gerade ganz weit weg zu sein. Denn möglicherweise hat die Lehrerinnentochter in ihrer groovy Musikfamilie einfach die schöneren Erfahrungen gemacht als beispielsweise Michelle Wallace in ihrer sublimiert-universitären Umgebung.

»Meine Mutter und ich haben gelernt, mit wenig Geld ganz gut zu leben. Das funktionierte nur durch die Einhaltung sehr strikter Regeln. Wie z.B. ›Mach Dir nur etwas zu essen, geh erst an den Kühlschrank, wenn Du wirklich hungrig bist.‹«

Queen Latifah überläßt es jedem selbst, die Diskrepanzen und Unstimmigkeiten zwischen ihren voluntaristischen Erfolgs-Narrationen und den realen Anstrengungen und Unterstützungs-Dynamiken herauszufinden.

 

Solide Backgrounds
Und dann sind da ja auch noch ihre Kolleginnen: Yo Yo, Mc Lyte, neuerdings auch Boss, komplettieren die Liga der Top-Female-HipHop-Acts in den 90er Jahren. Ohne die oben angesprochenen Ausnahme-Verfahren zu stützen, fällt mir bei den genannten auf: Keine von ihnen wurde direkt in den Unterschichten der Inner-City-Ghettos sozialisiert. Auch sie stammen aus der latent um Stabilitäten bangenden schwarzen Mittelschicht.

Während Michelle Wallaces kulturelles Familien-Erbe im Kunstbereich liegt, ist Latifahs Background das sozio-medizinische Berufsfeld. Ihre Mutter, Rita Owens, ist Lehrerin und unterrichtete unter anderem Lakim Shabazz. Gerade dieses Milieu ist stark an staatliche Gelder, Sozialfürsorge, öffentliche Erziehungsmaßnahmen gekoppelt. Und Yo Yo erzählte kürzlich in einem Interview, daß sie die schmutzige Sprache der Straße wie eine Film-Rolle spricht, wie eine Film-Rolle allerdings, die mit der Realität direkt korrespondiert.

Auch Boss verneint die »Echtheit« ihrer »Fire-With-Fire«-Haltung, ihrer Pistolen-, Pump-Gun-, Slang- und Gangster-Rap-Posen, wenn sie die Ermahnungen ihrer Mutter, doch bitteschön die fluchenden Sprüche auf dem Anrufbeantworter zu löschen, in einen Song einbaut. Für derlei Gangster-Spinnkram habe sie ihr nicht College-Aufenthalt und Steptanzunterricht finanziert. Boss sieht’s ja ein und bekennt daraufhin trotzig, daß sie eben kein »Born Gangsta« ist, sich das Recht der Inszenierung aber trotzdem herausnimmt. Und man wird das Gefühl nicht los, daß diese Rapperinnen den Schutz, den Mütter aus Mittelschichten noch geben, gerne lobpreisen – um so aus relativer Geborgenheit eigene Entschiedenheit zu betonen. So nach dem Motto: Sich wenigstens freiwillig für eine Karriere im Rap-Business entschieden zu haben, statt ein Hineingezogenwerden in die Not der Situation zu bedienen. Auch eine Möglichkeit, »Never allow anyone to call me bad« zu sagen, und damit deutlich zu machen, keinesfalls als »Bitch« gedisst werden zu wollen.

Kein Zufall also, daß ein eher nüchterner, bodenständiger Character wie Latifah das Black-Female-Role-Model gibt. Sie verneint selbst noch den spielerischen Umgang mit der Symbolik des »Bösen«. Auch die Aneignung männlich besetzter Symboliken (wie bei Boss) versucht sie, sofern möglich, zu vermeiden. Ebenso sind seichte, sexuelle Selbstbezichtigungen, wie sie die Girl-Band Hoes With Attitude über die Spitze hinaustreiben, ihre Sache nicht.

Queen Latifah verkörpert eben am liebsten die krasse Vernunft der Mäßigung.

 

(KG, SPEX 1994)