Manic Mittwoch pt. 30 (an einem Samstag): Dieser Winter

von Kersty

Warum Arbeit immer noch die krasseste Ausnahmesituation von allen ist. Oder: wie schön, wenn man sein Hobby zum Beruf gemacht hat bzw.: wo wäre ich ohne meine 80 Stunden Verhaltenstherapie?

Woran erkenne ich, dass ein Winter richtig hart ist? Daran, dass ich keine Zeit mehr habe, Tagebuch zu schreiben. Dies ist somit der härteste Winter seit vielen Jahren. Denn zum Schreiben gekommen bin ich durchaus – ich sitze seit Dezember an den Endkorrekturen meines Romans „BRAVO BAR“, der im Mai beim weltbesten Ventil-Verlag erscheinen wird.

Schon wild, aber stabil. Wie die Deutschrapperinnen sagen würden, haha. Ich liebe ja Deutschrap, immer schon. Also seit den seligen Tagen des Politrap, Hip Hop war irgendwie auch immer da, wenn man aus dem Raum Heidelberg kommt, nicht nur Disco-Pop und Indie-Rock. Was ich aber hasse ist im Winter so viel zu arbeiten. Wir machen ja auch gerade noch unser aktuelles Album fertig, das rockiger wird als alles, was wir je gemacht haben.

Schon weird, wenn man seine liebsten Hobbys zum Beruf gemacht hat, trotzdem ist es Arbeit. Das hatte ich damals, zu Beginn meiner Laufbahn als professionelle Journalistin, nicht kapiert. Ach, ist doch alles nichts, wenn ich die Sonntage damit verbringe MTV Moderationen zu recherchieren und zu schreiben. Ich liebe das doch alles so. Gefährlicher Irrglaube, ab einem Punkt von vernünftiger Perfektion und Abliefern-Müssen ist es genauso Knochenarbeit wie alles andere. „And in the end it became just another factory!“ wussten schon die Kinks, übers Songschreiben und die damit verbundenen Aufnahmesessions.

Erst in den letzten paar Jahren hat mein Hirn gelernt wie es sich anfühlt, wirklich abzuschalten, ich meine jetzt auf positive Art und Weise. Durch die Verhaltenstherapie bin ich ein klein wenig ein neuer Mensch geworden. Die Symptome der Zwangshandlung und der Angststörung – in meinem Fall verbunden mit hypochondrischen Zwangsgedanken/Handlungen  – halten sich sauber im Hintergrund meines Lebens auf. Und das ist sehr angenehm, das Fiese an Zwangsstörungen ist ja, dass man sie überhaupt nicht als solche erkennt. Man denkt: so bin ich halt, das sind alles die für mich typischen Gedanken. Von wegen! Man kann auf jeden noch so abgefahrenen Gedankengrundsatz draufschauen und sich überlegen, welche inneren Überzeugungen ihm zugrunde liegen, wann und wie die geprägt wurden. Man kommt schon raus aus der Grübel-Hölle durch so eine kleine, harmlose Verhaltenstherapie. Es ist dann plötzlich so viel Freiraum für schöne Tätigkeiten da. Für tolle Gedanken, Träume, Begegnungen. Für das ganze sogenannte Leben.

Es kam ja heraus, dass es mir nie so gut geht, wie wenn ich am Klavier sitze, ein bisschen meine Songs spiele und dazu eine Tasse Kaffee trinke. Das ist abschalten für mich. Ich finde es witzig, weil ich mir in puncto Instrumente-Spielen nie Stress gemacht habe. Ich am Klavier, das ist ein jungfräulicher Zustand von purem Hobby und Glück. Auch wenn es irgendwann etwas davon auf der Bühne zu hören gibt. Dasselbe gilt bei mir auch für Synthies-Einspielen. Synthie ist wie Kettenkarussell auf der Kirmes, Klavier ist wie Schiffschaukel, Singen ist hingegen wie in die Boutique gehen (also höchste Anspannung, Vorsicht, es geht um alles), Romanschreiben wie Schulaufsatz und die Wohnung aufräumen kommt mir vor wie ein Arzt-Besuch. Hip Hop ist wie erster Sex und Rock Musik wie letzter Sex, Songtextschreiben wie Orgasmus, Tagebuchschreiben ist Vanilleeis und Labelmachen Werkunterricht. Musikjournalismus machen ist Kaffeetrinken und mit Glitzereichhörnchen spielen.

Aber am schönsten ist einfach immer noch das Nichtstun. Das ist unvergleichbar, und da muss ich wieder hinkommen. Wenn dieser fucking Winter vorbei ist. Ich habe noch hundert Seiten zum Roman dazu geschrieben, und circa  hundert Seiten gestrichen. Mein Kopf ist ein wilder Wirbel. An manchen Tagen habe ich das Gefühl, ich kann nicht mehr denken, von all den wichtigen Gedanken im Gehäuse. Das ist mir früher nie aufgefallen, dass es auch einen Denkmüd-Zustand gibt. Ich habe es aber geschafft, wieder runterzukommen, und neu draufzuschauen. Eine wahre Verhaltensleistung. Auf so etwas wäre ich vor der Therapie nie gekommen – man kann Denken im Kopf fühlen, es kann lähmen, oder befreiend sein. Und wenn ich über die Weihnachtsfeiertage nicht alle Staffeln der ZDF-Serie „ L`Opera“ geschaut hätte, dann wäre mir für den Roman gewiss kein schlauer Plot mehr eingefallen. So habe ich mich dann doch einigermaßen normal gefühlt, und das Ding zu Ende geschrieben.

Wenn man sich mit psychischen Krankheiten beschäftigt, dann weiß man ja, dass nach drei Wochen Ausnahmesituation der Körper schon am Rad dreht, das Hirn auf Alarm schläft oder so. Da finden dann schon signifikante Veränderungen statt.  So weit darf es nicht kommen, weil dann die Symptome meiner hypochondrischen Störung wieder da sind. Ausgerechnet dann, wenn ich sowieso schon im Stress bin, habe ich die furchtbare Energie, ganz harmlose körperliche Symptome wie Bauchschmerzen zu furchtbaren Krankheitsbildern aufzublasen. Das habe ich aber gelernt: wie man mit so einer Einbildung umgeht. Man akzeptiert, toleriert die sich aufdrängenden Zwangsgedanken, wie einen Wasserball, der zufällig neben einem herpaddelt, aber man beachtet die Angst nicht mehr. Die Angst davor krank zu sein ist halt da, auch wenn ich kerngesund bin, und sie ist nur Teil einer Angststörung, und wenn ich sie akzeptiere und mit dem Kopf draufschaue und mir klar mache, dass es nur daran liegt, dass ich zu viele Erbsen und Vitamin-D-Tabletten gegessen habe, dann verschwindet sowohl die Angst als auch das Bauchweh.

Ich war ja wirklich die Prinzessin auf der Erbse, haha, in einer dieser kalten Nächte. Nichts ist krank, alles ist im Fluss, die Ausnahmesituation „Abgabeschluss“ bald vorüber. Der Sommer in die Stadt wird fahren! Und Bohemian Strawberry kommt zurück. Ich freue mich schon so auf die Lesetour und die Shows mit The Doctorella, auf die Fortsetzung meiner Ausbildung zur Gesangslehrerin – und darauf die neuen Kleider auch wirklich zu tragen, die ich mir in den letzten Tage gekauft habe, haha. Das ist ja überhaupt das einzige, was mir noch mehr Spaß macht als Klavierspielen: Päckchen kriegen mit desigual-Kleider: das Paradies auf Erden. Ich habe mich schwer belohnt, schon, dieses Jahr: Pailetten-Bomberjacken, Midiröcke, Sweatshirts, Schuhe, Mid-Waist-Jeans, Kleider, Röcke, Lose Fit und Slim Schick, alles in lila und modern gelb, meine neuen Lieblingsfarben. Wenn ein neuer Mantel dich zur Königin macht. Bald werde ich wieder leben. Bis dahin muss ich noch ein bisschen schreiben, und schreien, und singen. Ich freue mich auf mein Leben. Sagt euch, schreibt euch, eure Arbeitsbiene.

P.S. Im April kommt die neue The Doctorella-Single namens “Cliffhanger”: “Ich bin´s immer noch, immer noch Dein Cliffhanger…”, ich habe gerade heute noch meinem Synthie die schönsten und sakralsten Klänge entlockt. Im Mai der Roman „Bravo Bar“ & das Video zu “Cliffhanger”:  im September das Album „Mondscheinpsychose, Bordsteinrose.“ Davor noch mehr Singles und Videos von Doctorella (The).

Und bereits jetzt (genau gesagt: seit 2019 schon) kann man den wunderbaren Band „Queeres Lesen“  von der Literaturwissenschaftlerin  Katja Kauer kaufen, in dem sie meinen Roman „An einem Tag für rote Schuhe“ (2014) zusammen mit Irmgard Keuns Klassiker „Gilgi, eine von uns“ (1931) auf homoerotische Subtexte untersucht und für den Deutschunterricht empfiehlt!

Was will man mehr!? Es ist sehr schön, was Katja Kauer über die Frauenfreundschaft meiner Protagonistinnen Lilly und Jasmina schreibt (u.a. auch eine analytische Feier der Selbstbefreiung durch Frauenfreundschaft, Feenzauber.) Ich habe daraus selbst noch etwas über die Idee von Popfeminismus gelernt.

Hey, das alles macht mir Mut und plötzlich ergibt es Sinn sich in so viele Details von Wirklichkeit zu verwickeln, wie es für einen guten Roman nötig ist.

Oder wie meine Therapeutin immer sagte: man kann in einem Garten Unkraut rupfen – oder Blumen pflanzen. Ich entscheide mich fürs Anlegen eins Blumenbeets – und sei es nur in Form von floralen Prints auf Midiröcken und Schals.

 

Buchtipps:

Queer lesen (von Katja Kauer)w

Kognitive Verhaltenstherapie für Dummies (von Rob Willson)