Wet Leg – Albernheit und Humor als musikalisches Grundrecht

Früher hätte man gesagt: ganz klar, bad girls, heute: sie sind auf jeden Fall die Guten.

von Kersty

Es ist äußerst selten, dass eine Band für ihre Mischung aus Fröhlichkeit und Direktheit von der britischen Presse gehypt wird. Wet Leg ist die Band der Stunde, gerade weil sie so „natürlich“ fröhlich ist. Und dazu gehört auch, die eine oder andere sexuelle Anekdote oder Anspielung in den Songs zum Besten zu geben.  („Is your muffin buttered? Would you like us to assign someone to butter your muffin?“) 

Wet Leg – Chaise Longue (Official Video) – YouTube

Wet Leg – Wet Dream (Official Video) – YouTube

Früher hätte man gesagt: ganz klar, bad girls, heute: sie sind auf jeden Fall die Guten.  Denn wann war ein Attribut wie „fröhlich“ je ein Grund für Begeisterungsstürme von Seiten überkritischer Journalisten? Zumal wenn es sich um die Fröhlichkeit von Frauen handelt. So strange das klingt: es ist ein Zeichen des feministischen Fortschritts. Denn man kann sich vorstellen, dass solche kicherigen und übermütigen Charaktere – wie die der Sängerinnen, Gitarristinnen und Songschreiberinnen Rhian Teasdale und Hester Chambers – in früheren Zeiten auch unter die Rubrik “überbording Exzentrik” abgespeichert worden wären.

Oder andersherum gesagt: den Menschen zu sehen in der „wilden“ und „übermütigen“ Frau; sie gar eines relativ harmlosen Gefühlszustands wie „fröhlich“ zu „bezichtigen“ kann schon mal keinen besonders misogynen Hintergrund haben.

In Anbetracht auch der wunderbar fantasievollen Styles: vom Rotkäppchen-Look über viktorianische Sommer-Verspieltheit; vom  coolem Riot-Schulmädchen-Outfit bis hin zu edgy-buntem Haute-Couture-Chique. Und ganz subtil: immer mit dem Extra Accessoire Albernheit, sei es Motorrad-Jacken-Badges, Fingerfarben-Leg-Jeans oder geflochtene Zöpfe.

Ein weiterer Höhepunkt der Wet-Leg-Rezeption besteht in der Akzeptanz der Tatsache, dass hier zwei Frauen und drei Männer zusammen Musik machen, ohne dass das irgendwelchen Leuten komisch aufstößt. Oder man sie zwanghaft als Duo will.  Vielleicht weil es auch mal langsam klar geworden ist, dass zwei Leute halt nicht den ausgebufften und verspielten Zauber-Noise;  hier ein Tönchen, da ein Böhnchen; hinbekommen, wie wenn sie drei Gitarren, einen Bass und ein Schlagzeug hätten.  Aha: Frauen könnten auch einfach mal `ne Band machen und nicht immer nur singuläre Einzelgängerinnen sein. Wobei: Gerade in den zehner und anfangenden Zwanziger Jahren ab und gibt es ja viele  female* Bands, die das alte Genre Indie Rock mit neuem Geist beleben.  Darf man auch nicht vergessen, nur weil jetzt mal eine davon hervorgehoben und gehypt wird. (“Not heard since the days of Franz Ferdinand”, Pitchfork). Aber sie wurden so nicht wahrgenommen, weil “Indierock” (oder Indie-Folk, Pop whatever…) -Bands von Frauen ganz oft nur mit Bands von Frauen verglichen wurden.  Wenn ich z.B. dran denke, wie offensichtlich etwa die britischen Dream Wife bei ihrem Debut-Album wirklich (und nicht, wie Wet Leg nur gefühlt, weil gehypt) nach den Strokes geklungen und sich auch explizit darauf bezogen haben – und trotzdem nicht mit den Strokes verglichen wurden.

Es ist neu (man möchte es kaum für möglich halten und laut schreien, because it´s  fucking 2022):  dass diese Indie-Disco-Schublade mal für Musikerinnen geöffnet wird. Dass verstanden wird, was die damit wollen, ohne es als „aus der Rolle“-Fallen zu beschreiben. Und noch besser: dass so eine Band, noch dazu von der Isle of Wight, zur neuen Welle cooler, male Post-Post-Punk-Bands zählt. Albernheit und Humor als musikalisches Grundrecht, wo dann aber keine*r sagt, das sei nur bloße Blödelei, sondern eher als Teil eines unheiligen Ernstes. Umso beachtlicher, dass der Humor sich auch noch teils spöttisch auf Männer bezieht. Und oft sind sie dabei nicht mal gutmütig. So wie Frauen bei z.B. Rap von Männern oft gewohnt sind zu denken: ich bin ja nicht diese Bitch, um die es da geht, können Männer dabei ja denken: ich bin ja nicht dieser toxische oder bescheuerte  Mann. Es ist aber auch neu, dass Männer es aushalten müssen von der Popkultur ausgelacht zu werden und dann von sicher selber abstrahieren lernen.

Da passt es gut, dass die beiden Girls von Wet Leg  als Gründungsmythos folgendes lustiges Szenario erzählen ( oder es stimmt oder nicht, egal): die beiden hätten bei einem Festival, während sie auf einem Riesenrad saßen, in einer nebligen Nacht, of course,  beschlossen eine Band zu gründen. Denn, so weiß es die Traumdeutung: das Traumsymbol „Jahrmarkt“ handelt nicht nur von den vielen Unwägbarkeiten mit denen man im Leben zu tun hat, es enthält vor allem auch die Aufforderung, das Leben nicht zu ernst zu nehmen und sich nicht jede Freude und jeden Genuss zu entsagen.

On Tour With Wet Leg – YouTube

Auf der Bühne äußert sich das z.B. so: Rhian Teasdale formt und verknotet  sich für einen Moment ihre Haare zu komischen Hörnern, nur um sie dann lachend auszuschütteln; als wäre ihr das gerade ein besonderes Bedürfnis gewesen. Und das ist etwas so Albernes, das würden Leute, die etwas auf ihre Musik geben eigentlich nicht machen. Es ist wie ein kurzer Moment der Freude am Musik-Machen und am Leben, der da aus all der slicken, coolen Gitarrenarbeit zwischen kantigen Riffs und Powerchords; zwischen eingängigen Melodien und catchy Zeilen, aufleuchtet.

So etwas hätte sich Lady Gaga niemals getraut. Denn Wet Leg machen, wenn sie schon Hin und Wieder mit der Idee von Trash spielen, dann wenigstens nicht auch noch perfekten Trash. Denn es haftet der Idee, man müsse als Musikerin perfekten Trash machen, etwas so Deprimierendes, Misogynes an. Weil das in der Natur der Frau liegt, dass ihr Musik sowieso nicht ernst ist? Bei Wet Leg gibt es dieses Aufblitzen von „I`m not good“ nicht. Diese verdammte scheißblöde Sich-Selber-Runtermachen oder – als nur die andere Seite der Medaille – das Betonen davon, wie selbstbewusst man doch ist. Sie sind es einfach: musikalisch brillant, selbstbewusst und lustig, und an jedem Finger einen Ring. Bunt und viktorianisch und gegenwärtig, und vor allem: guuuut!

Und natürlich steckt hinter all dem Albernsein dann doch noch eine Strategie, wie man die Welt ein bisschen besser machen könnte. Rhian: „Wet Leg sollte ursprünglich einfach nur lustig sein. Als Frau wird so viel von dir verlangt, aber dein einziger Wert besteht darin,  wie hübsch oder cool du aussiehst. Aber wir wollen albern und ein bisschen unhöflich sein.“

Bleibt jetzt nur zu hoffen, dass der Hype nicht doch nur deshalb funktioniert hat, weil sie sich selber nicht so ernst nehmen.  Manchmal schwang in Artikeln dann nämlich doch schon die Grundidee davon mit: die Frau ist dilettantisch, weil: sie kann über sich selber lachen. Aber stopp, so war es natürlich nicht gemeint! Merke: Humor haben und dabei Ernst genommen werden, ist eben auch ein männliches Privileg. Und Wet Leg fordern das gerade öffentlichkeitswirksam, schelmisch  und mit großen Geschick für sich ein.  Und stopp auch, wer denkt, das wäre “einfache Musik”, weil sie melodiös ist.

Wet Leg: eine Band auf jeden Fall wie aus einem feuchten Feministinnen-Traum! 😉