Le Tigre – Liebeslieder für Feministinnen

Le Tigre smells Like Teen-Spirit

 

Ehrlich, es fällt mir schwer, mich noch mal oder schon wieder auf Le Tigre und Kathleen Hanna einzulassen, über Riot Girl zu schreiben. Das hängt damit zusammen, daß es so traurig ist, daß es nicht mehr als fünf Bands gibt, die einem einfallen, wenn man an Riot Girl denkt. Und auch, weil Kathleen Hanna immer noch so auf dem Underground-Trip ist. Erfolg? Ihr doch egal. Man hat fast den Eindruck, sie will gar nicht kommunizieren.

Dabei war sie es doch, die einen Aufruf an Mädchen geschrieben hat: Sie sollen sich mit einem Leuchtstift Zeichen auf die Arme malen, um sich auf Punk- und Rock-Konzerten zu erkennen, um dann auch mal über Sachen zu reden, die die Jungs dort nichts angehen. Sachen wie Mißbrauch oder Magersucht.

Das war vor dem Siegeszug des Internet – der Aufbau eines feministischen Netzwerkes muß ein ziemliches Abenteuer gewesen sein. Es war die Zeit von Grunge und ›Nevermind‹. Kathleen Hanna war mit Kurt Cobain befreundet. Und sie war es auch, die »Kurt Cobain smells like teen spirit«, an seine Wand sprühte, als er mal besonders nach diesem einen Deo roch. Er hat ein Lied daraus gemacht. Ja, und das ist es eben, was mich nervt, wenn ich mich mit Kathleen Hanna beschäftigen soll. Wieso haben ihre Lieder nie so gut gerochen – für die Mädchen aus ihrer Generation? Die Protagonistinnen von Riot Girl kamen aus der Grunge-Szene, aber sie verweigerten sich der Öffentlichkeit rigoroser, als es vielleicht nötig gewesen wäre. Selbst wenn man von der Indie-Presse kam und sich wie ein Riot Girl fühlte, mußte man um Interviews betteln. Was ich natürlich auch getan habe, im März 1996.

 

Come As You Are

 

Natürlich nur, weil mir ihr Style auf Anhieb sympathisch war. Am frühen Abend kamen die drei Mädchen und der Junge von Bikini Kill (Kathleen Hannas damaliger Band) im ›Tunnel‹ in der Kölner Südstadt an. Ihre Kleider waren Secondhand und abgewrackt, aber auch exzentrisch, hell und bunt. Kathleen Hanna trug einen Second-Hand-Pelzmantel und einen rosa Schal, Tobi Vail, die Schlagzeugerin, hatte hennarotes Haar und trug eine Jeans. Sie strahlten Leidenschaft aus und waren müde. Ich beobachtete Tobi Vail, wie sie trotzdem nett mit allen redete und rumorganisierte. Das ist also das Mädchen, dachte ich, für das Kurt Cobain ›Come As You Are‹ geschrieben hat, angeblich. Mein Lieblings-Liebeslied zu der Zeit.

Tobi Vail war seine Freundin in der Vorphase von ›Nevermind‹. Ich versuchte es mir vorzustellen: Hat Kurt Cobain tatsächlich, wie es in den Nirvana-Biographien steht, in Olympia, Washington in ihrem Zimmer gesessen, an den Songs für ›Nevermind‹ geschrieben, froh, »endlich eine kreative Freundin« zu haben, während sie am Riot-Girl-Netzwerk arbeitete?

Warum ich hier so vom Thema abkomme? Weil ich nie ganz verstanden habe, warum dann ausgerechnet Bikini Kill als die Band in die Musikgeschichte eingegangen sind, die Jungs diskriminiert. Die Jungs nicht haben will, auf ihren Konzerten. Nur weil sie ein paar Wahrheiten für Mädchen klargemacht und ein paar harmlose »Girls only«-Gigs gespielt haben? Ich glaube ja, sie haben dem Punkrock die Art von Romantik zurückgegeben, die er braucht, um zu gedeihen. Und das ist keine romantische Sicht auf die Dinge. Noch unromantischer waren allerdings die Rückblicke auf die 90er, letztes Jahr, und im Moment auch die Rezeption von »zehn Jahre Nevermind«. Ich denke, da fehlt doch was. Und dann fällt mir, fast gerührt, wieder ein, daß ausgerechnet Kurt Cobain, der große Held dieser Geschichtsverfälscher, seine Liebeslieder für Feministinnen geschrieben hat.

 

Smells Like Teen Spirit

 

Zurück zum Kölner Südstadt-Club. Kathleen wollte natürlich kein Interview geben – war ja schließlich für ein »coloured magazine« –, aber Tobi merkte wohl, daß es so nicht geht und überredete Kathleen. Während des Interviews hat Kathleen gesagt, daß sie immer auf sehr vielen Ebenen gleichzeitig denkt. Da durfte sie natürlich die ganze Zeit reden. Ende 2000, wieder dasselbe Spiel. Nur daß keine Tobi Vail mehr vermittelt. Le Tigre hauen einfach ab, aus der Bandgarderobe, nach dem Gig im Hamburger ›Molotow‹, nachdem ich den ganzen Tag um ein Gespräch gebettelt habe.

Es sollte eigentlich am Nachmittag stattfinden, dann vor dem Konzert, dann nach dem Konzert, dann in zwei Minuten. Zwei Minuten später waren sie weg. Irgendwie kann ich Kathleen Hanna auch verstehen. Immer haben die Leute solche Erwartungen an sie, die sie sich angeblich (gemeinsam mit Tobi Vail und Jen Smith), Riot Girl ausgedacht hat. Was vermutlich noch viel größer, ungreifbarer und verrückter ist, als »smells like teen spirit« an eine Wand zu sprühen. Denn »Riot Girl« ist eine Idee. Ideen sterben nicht so wie Menschen.

 

Keep On Livin’

 

Auf der neuen Le-Tigre-CD gibt es ein Lied über die Erwartungen aus der Underground-Community. »Hey look I’m really sorry, I couldn’t make it to your party. I know it looks like I’m gonna cry … So go tell your friends I’m still a feminist. But I won’t be coming to your benefit. I give up, I give up … I’ll be at home today.«Das Lied handelt davon, wie schön es ist, einen Tag im Bett zu verbringen. Glückliche Aufstände enden immer im Bett. Womit wir endlich bei Le Tigres neuer CD wären. Hey, die ganze schlechte Laune war umsonst. ›Feminist Sweepstakes‹ ist traumhaft! Die Stücke sind unmittelbar und rauh, übermütig, ausgefeilt und poppig. Sie agitieren und sind tanzbar. Sie haben so etwas Professionelles!

Es ist richtig toll, Musik von Kathleen Hanna zu hören, die zur Abwechslung mal so klingt, als ginge es ihr, neben allem Aktivismus, auch um Kunst. Was natürlich daran liegt, daß Le Tigre – also Kathleen Hanna, Johanna Fateman und JD Samson – endlich mal das sind, worum es die ganze Zeit ging, bei der Riot-Girl-Idee: die Mädchenband, die nicht aus Mädchen, sondern aus Band besteht. Wo es also um Musik geht und die Hysterie so langsam überflüssig wird. Vielleicht sind auch alle Beteiligten endlich erwachsen. Nur gibt es jetzt schon wieder kein richtiges Kathleen-Hanna-Interview. Le Tigre wollen nicht nach Europa und ich nicht nach New York fliegen. Hm. Es ist gar nicht so einfach, Feministinnen zu lieben. Ein E-Mail-Interview also. Aber wofür hat man es schließlich mit elektronischen Leuten zu tun?

 

Well Well Well

 

»Könnt ihr mir etwas über den Produktionsprozess von ›Feminist Sweepstakes‹ sagen? Wie wurde die CD geschrieben und produziert? Sie klingt so elektronisch und trotzdem irgendwie gitarrig.«

Kathleen Hanna: »Es ist wirklich schwer, unsere Arbeitsweise zu erklären, denn sie ist bei jedem Song anders. Als wir anfingen, an dieser Platte zu arbeiten, hatten sich unsere Sampling/Sequencing-Fähigkeiten so sehr verbessert, daß wir uns weniger auf ›glückliche Unfälle‹ verlassen mussten. Wir haben matching machines (Akai MPC 60’s w / Roger Linn’s 3.1 upgrade / scsi interface), so daß jede von uns zu Hause arbeiten und die Sachen der anderen aufgreifen kann. Auf dieser Platte singen wir alle die Lead-Stimme. Obwohl unsere Stimmen sehr unterschiedlich sind, denken Leute oft, daß ich die ganzen Texte schreibe und singe. Aber ›F.Y.R.‹ ist zum Beispiel so ein Lied, das wir gemeinsam erarbeitet haben. [Es basiert auf der Zeile ›Fifty Years Of Ridicule‹ in Shulamith Firestones ›The Dialectics Of Sex‹.] Aber der Gesang ist von JD und Jo. Ich habe die Gitarren-Samples gespielt, Jo den Beat und den Rest der Samples etc.«

JD Samson: »Die Platte besteht wirklich nur aus Samples – von einer Live-Gitarre und den Vocals mal abgesehen. Wir spielen die Gitarren-Riffs oft direkt in den Sampler und loopen sie dann. So braucht keiner herumzustehen und stundenlang dasselbe zu spielen, während wir nur herausfinden möchten, was wir als nächstes tun wollen. Dann, wenn wir das Gefühl haben, es zu mögen, spielt eine von uns die Gitarre auf der Bühne. Aber wir finden es lustig, daß selbst die Songs, die am meisten nach Garagen-Band klingen, in Wirklichkeit digitale Simulationen dieser Ästhetik sind.«

»Auf ›F.Y.R.‹ gibt es diese Zeile: ›One step forward, five steps back. One cool record in the year of rock-rap.‹ Wie ist es möglich, daß es nur eine gute Platte gibt, im Jahr des Rockrap? Und was ist seit den Anfängen von Riot Girl erreicht worden?«

Johanna Fateman: »Wir haben diesen Song als Protest gegen den Mythos geschrieben, daß wir in einer post-feministischen Welt leben. Natürlich hast du recht, es gab dieses Jahr mehr als nur eine gute Platte. Aber wir meinen es ja gar nicht wörtlich. Wir wollten nur unsere Wut und Enttäuschung über die überwältigende Popularität dieses wachsenden Genres zum Ausdruck bringen. Im Raprock verschmelzen die frauenfeindlichsten Elemente von sowohl Rap als auch Metal, um den zurückgebliebensten Strängen pubertierender Männer-Rebellion zu gefallen. Es bricht einem das Herz, wenn man die Errungenschaften der Riot-Girl-Bewegung mit den massiven sexuellen Verletzungen vergleicht, die während Rock-Festivals passieren. Ich denke da besonders an die Vergewaltigungen während des Woodstock-’99-Festivals. Es ist so viel darüber geschrieben worden, aber die Reaktionen der beteiligten Künstler und Veranstalter waren unglaublich unsensibel und verantwortungslos. – Aber es ist ja nicht so, als habe Riot Girl nichts erreicht. Es gibt ein Underground-Netzwerk von anti-sexistischen/pro-girl-Bands, Promotern, Labels, Magazinen, wovon Le Tigre Teil sind. Das hat vorher nicht existiert, und wir sind sehr stolz darauf.«

»Warum sprechen Frauen in der Öffentlichkeit so ungerne über den – ja ziemlich offensichtlichen – Sexismus in der populären Kultur? Was ist der tiefere Grund dafür? Viele machtvolle Frauen setzen sich statt dessen z.B. lieber für Kinder oder Tiere ein, was ja auch prima ist, aber…«

Kathleen Hanna: »Ja, klar. Innerhalb der Mainstream-Kultur wählen Promis und Künstlerinnen immer die Themen aus, mit denen sie sich beliebt machen können. Obwohl es auch Ausnahmen gibt, zum Beispiel Tori Amos oder Fiona Apple, die sich beide gegen Vergewaltigung ausgesprochen haben. Ich glaube, die Gründe dafür liegen auf der Hand. Von der Massenkultur wird Feminismus immer noch stigmatisiert: als kontrovers empfunden, als Bedrohung für Männer und heterosexuelle Institutionen.«

»Besteht ihr deshalb so darauf, Underground zu sein? Was würde passieren, wenn Le Tigre ein bisschen mehr Mainstream-Act wären? Wenigstens auf die Musikpresse könntet ihr euch doch mal einlassen!«

JD Samson: »Was muß man tun, um ›ein bißchen mehr Mainstream-Act‹ zu werden? Ist es das wert, Kompromisse mit unserer Kunst einzugehen, unsere Community aus Fans und Mitstreitern zu verärgern, unsere Tage der ›Promotion‹ durch eine Medien-Maschine zu widmen, die Frauen und Queers hasst? Viele Leute sagen, unsere politischen Strategien seien gescheitert, weil wir nicht auf einem Major-Label sind. Und deshalb mit unserer ›Message‹ auch nicht das größtmögliche Publikum erreichen. Aber diese Kritik geht von einem Modell ›politischer Effektivität aus‹, das wir nicht kaufen wollen. Wir sind nicht wirklich daran interessiert, unsere Stimme des Missklangs in den Mainstream einzubringen – obwohl wir das manchmal tun. Wir finden es viel wichtiger, mit einer feministischen Underground-Community zu kommunizieren. Eine ökonomische Struktur zu unterstützen, die außerhalb der kommerziellen Kultur bestehen kann.«

»Eine Band zu gründen ist wieder eine sehr männliche Sache geworden. Warum gehen Mädchen nicht einfach raus und machen ihre eigenen Bands?«

Johanna Fateman: »Nun, soweit wir es wissen: viele Mädchen starten Bands. Oder machen Musik auf Laptops, MPCs etc. Wir kriegen viele Demo-Tapes und Briefe von Mädchen, die feministische Kunst und Musik machen – auf jede erdenkliche Art. Wir glauben nicht, daß es wirklich wichtig ist, daß Mädchen im traditionellen Sinne ›Bands‹ starten. Wir sind glücklich, daß Frauen mit neuen Formen experimentieren.«

Leider habe ich nicht gefragt, was die EINE Platte, »the one good record in the year of rockrap«, ist. Ihre eigene? Missy Elliot? Tori Amos? Oder sind da wieder irgendwelche Jungspunkrocker im Spiel, die eine anti-sexistische Platte gemacht haben, und es hat nur wieder keiner mitbekommen?


(KG, INTRO, 2001)