Ally McBeals Hungerstreik

Ein Plädoyer für schwache Nerven

Heute ist eine meiner Lieblingsfolgen von Ally McBeal wiederholt worden. Ist zwar eigentlich nicht erwähnenswert – weil jede Ally McBeal-Folge zu meinen favourites gehört. Aber heute war Ally ganz besonders Ally, wenn Ihr wißt, was ich meine.

Ally wird von einer spinnerten Psychotante dazu verdonnert, endlich Prozac zu nehmen, damit die Halluzinationen aufhören. Ally will aber kein Prozac, und schon gar nicht will sie, daß die Halluzinationen aufhören: »Ganz einfach: Ich genieße sie.« Trotzdem ringt sie schwer mit sich, ob sie das Zeugs nun nehmen soll oder nicht – wobei die Freunde ihr natürlich zuraten. Nur Al Green nicht. Al Green, der Barkeeper mit der tollen Soul-Stimme, tanzt lieber mit Ally die Straßen Bostons entlang, die beiden singen sich zu, Songs von der Liebe und vom Leben. Leider ist Al Green aber gar nicht echt, sondern nur Allys aktuelle Lieblingshalluzination. Hm. Und um die trauert sie jetzt. »Er würde mir schrecklich fehlen. Er macht mich glücklich.« Also sieht sich Ally mal wieder einen Chor bilden, mit ihren Freunden und Kollegen aus der auch nicht unexzentrischen Anwaltskanzlei, und sie singen zusammen: »Let’s stay together.« Das Prozac landet im Klo. Zum Glück für uns alle. Denn wir wissen es längst: Diese Frau braucht kein Prozac. Diese Frau braucht eine gerechte Welt. Ein bißchen mehr Freundschaft in ihren sexuellen Beziehungen. Und natürlich endlich etwas zu essen!

Ihr seht schon: Ich schwärme für Ally McBeal. Die Anwältin aus der Vox-Kultserie. Die verrückt ist und rational. Wütend und erfolgreich. Bissig, leidenschaftlich, ungezügelt, und trotzdem weiblich, sexy, charming. Die ständig die Nerven verliert, und dann herumschreit. Und sich dann wieder fängt. Und dann die Wahrheit sagt. Oder was sie dafür hält. Schließlich ist man es nicht gerade gewohnt, Frauen auf dem Bildschirm zu sehen, die über ihre Grenzen gehen, sehr, und trotzdem gemocht werden. »Ally ist jenseits von Gut und Böse« hat einer der Serien-Verantwortlichen mal über diese Figur gesagt, und das trifft es genau. Eins hat die Figur Ally McBeal allerdings mit anderen Bildschirm-Frauen gemeinsam. Sie, bzw. die Schauspielerin Calista Flockhart ist mager. Sehr mager. So mager, daß Calista Flockhart ständig Fanpost mit Süßigkeiten bekommt. Und die Boulevardpresse magersuchtsbedingt, Unfruchtbarkeit vermutete, als sie kürzlich ein Kind adoptierte. So mager, daß sie sogar das Emma-Cover über »Die Hungersucht« zierte. Wie ein kleines, verdorrtes Mädchen steht sie da, unsere große Ally McBeal, hinter ihr eine riesige, pralle Marilyn. Titelzeile: ›Von Marilyn zu Ally McBeal. Diät – oder die tödliche Leugnung des Frauenkörpers‹. Daß ausgerechnet die Ally-McBeal-Darstellerin zum gefährlichen Vorbild für Magersucht hochstilisiert wurde, ist eigentlich zum Lachen. Und beweist mal wieder, daß Emma wenig von Kultur versteht (was sie, nebenbei gesagt, »glamourösen« Frauenillustrierten ziemlich ähnlich macht).

Denn, meine These: Ally McBeal stellt den verleugneten Frauenkörper so radikal aus, daß sie endlich die Kurven-Lüge sichtbar macht. Die Kurven-Lüge geht so: Man nimmt extrem dünne Models/Schauspielerinnen/Sängerinnen und behauptet, die seien ganz schön kurvig. Womit mehr als nur der Busen gemeint ist. Echt was dran, an Gisele Bündchen, Laetitia Casta, Geri Halliwell (in ihrer Spice-Girls-Phase), Britney Spears, Pamela Anderson, und natürlich Jennifer Lopez. Daß Fett was anderes ist als die Oberarme von Britney Spears, hat selbst Elizabeth Jones, die Chefredakteurin von Marie Claire, in der außergewöhnlich ehrlichen ›Body Shapes – Special Issue‹ (Juni 2000) zugegeben. »Ich war kürzlich backstage bei der John-Galliano-Show in Paris, und sagte ›Hallo‹ zu Gisele, dem Model, das angeblich eine ›weibliche‹ Figur hat. Es war, als würde man eine Tasche voller Knochen umarmen. In Wirklichkeit sind diese Mädchen sehr, sehr dünn.« In Wirklichkeit sind also alle Mädchen sehr, sehr dünn, die man so im TV oder in Zeitschriften sieht. (Kann ich auch ein Lied von singen: Ich war schon milde enttäuscht, als ich die »Babyspeck«-Spears in echt sah.)

Und dafür liebe ich Ally McFlockhart: daß man ihr die Magersucht bzw. das notorische Untergewicht so richtig heftig ansieht! PJ-Harvey-mäßig. Also gar nicht erst versucht wird, Normalität vorzutäuschen – weshalb »Magersucht« in der Serie auch nie problematisiert wird. Als Issue. Was natürlich nicht bedeutet, wie manche Fans behaupten, daß Ally gar nicht eßgestört wäre. Man hat ja schließlich Augen im Kopf und sieht die kulturellen Kontexte, und wie sie abends immer nur diesen einen Joghurt löffelt. Daß sie mittags nicht richtig essen geht. Oder Salat bestellt. Und natürlich vom Tisch aufsteht, wenn sie mit ihrer Mutter essen soll. Und so was nennt man dann wohl Kult, oder? Wenn das Problem nicht benannt wird, das allen klar ist. Auf die eine oder andere Art. Wenn es gewissermaßen als unausgesprochener Subtext mitläuft. Ich würde deshalb vorschlagen, Ally als Figur zu sehen, die eine »andere« Seite von Magersucht verkörpert. Und das ist eben nicht Fettsucht oder Feminismus oder ein Fait à Compli, sondern eine offen ausgelebte Magersucht. The feeling of Hunger! Die heftigen Emotionen, die enorme Verletzlichkeit. Und wie man den Hass immer wieder gegen sich selber richtet. Die schwachen Nerven. Weil man aggressiv ist, und die ganze Welt verachtet. Daß man am liebsten rumschreien würde, den ganzen Tag, und nicht mehr zuhören kann, und quasselt wie ein Wasserfall, wenn man schon mal zum Reden kommt. Die Disziplin, die drogenähnlichen Freudenausbrüche. Das alles. Das ganze Schwankende. All das, was uns die Winona Ryders dieser Welt nie zeigen dürfen, in ihren mäusigen Psycho-Rollen. Mit ihren vollen, tollen Haaren. Wo doch jeder weiß, was ewige Unterernährung mit Haaren macht. Allys Haare zum Beispiel, die sind strohig, abgefressen, splissig. Sehen scheiße aus. Und dafür, hohes Gericht, liebe ich sie am meisten: daß sie, wenn schon scheinheilig, dann lieber heilig ist. Undsoweiterundsofort.

Und wenn das eine Überinterpretation ist, dann ist es mir auch scheißegal. Denn zumindest bringt sie uns der Wahrheit ein Stückchen näher. Der Wahrheit, wie es sich anfühlt, in dieser Welt, als Mädchen.

(KG, INTRO, 2001)