Shirley Manson (Garbage) spielt die elegische Frau der Dot-Com-Ära

Dieses Leben zwischen Luxus und Verzweiflung

 

Dieses Album ist ein Wunder. Milde gesagt. Es haut all die dummen Sorgen weg, die uns gerade noch gefehlt haben, so daß man gleichzeitig tanzen, schweigen, schwelgen und sich mit jemandem kloppen möchte. Denn ›beautifulgarbage‹ geht in alle Gefühls- und Musik-Richtungen. Man bekommt in diesen Tagen selten Musik zu hören, die aus schwer zu vereinbarenden Stilen einen eigenen Entwurf generiert. Die keine Angst vor zuviel Dreck und keine Angst vor zuviel Mainstream hat, auch wenn die Indie-Crowd wieder nur »Kitsch« murmeln wird. Crossover in jedem Fall, der das Gegenteil von handelsüblichem Nu Metal ist. Und wenn das übertrieben klingt, dann, weil ich angesteckt bin von der unglaublichen Transzendenz dieser Stücke! Und die aufklappbare Rose des herrlich verschwenderischen Garbage-Faltblatt-Covers schon in allen anderen Blumen sehe! Und ich schicke die SMS einfach ab, denn man wird sich auch mal bedanken dürfen, für schöne Sauereien.

Good Girl Shirley: sie singt sich das verkommenste Art-Decco-Pop-Zeugs so vollkommen von der Seele, so aufbrausend-flausenrauschend, daß man unwillkürlich an eine andere große Pop-Wunderheilerin, an Frau Mansons erklärtes Vorbild Patti Smith, denken muß.

Bad Girl Manson: So wie die Smith sich einst die großen dunklen 70er Jahre aus ihrer staubigen Fabriklunge pustete, so brilliert Shirley Manson in der Rolle der elegischen Frau der Dot-Com-Ära, wenn sie ihr Schweigen in den Zeugenstand ruft »If no truths are spoken then no lies can hide.« Das Schöne an Mansons elegischer Aura: sie kommt ganz ohne Nebelblick aus großen Nebelstädten. Sie mag keine langen Reden, keine Schlafzimmerblicke. Die Lady mit dem schwierigen Künstlernamen aus Shirley Bassey und Charles Manson wandert nicht durch ein London, ein Paris, ein Berlin, ein New York, der 20er oder 60er oder 80er Jahre. Sie hat keinen Sinn für die Sinne, die sie Dir raubt. Frau Manson mag das kalte, klare Wasser der Gegenwart: »You’ve got something to say, you say it straight into my face, and be a man about it!«

 

The world is not enough

 

Schon das 95er-Debüt ›Garbage‹ lief gut an – vor allem, wenn man sich darauf freute nach Hamburg zu ziehen und als Einstimmung ›Happy When It Rains‹ hörte. Der Nachfolger ›Version 2.0‹ verbreitete wahnsinnsgute Sex ’n’ Koks-Laune, genauso wie Pulps im gleichen Jahr veröffentlichte LP ›This Is Hardcore‹. Mit ›The World Is Not Enough‹ frechdachsten Garbage dann 1999 titelmelodiegebend auf den Flachdächern des gleichnamigen James-Bond-Streifens herum. Shirley Manson in der Rolle der berechnenden Zicke, und ›Nevermind‹- Mastermind Butch Vig, der darauf erstmals aus seiner Über-Ich-Produzenten-Rolle fiel.

Mit ›beautifulgarbage‹ zieht es sie nun endgültig in die Fassaden ihrer eigenen Welt zurück. Und plötzlich mag ich auch den doofen James-Bond-Song wieder. Dieses luzide Feuerwerk dunkler Vorahnungen! ›The World Is Not Enough‹ war doch wohl das »ninetyninetynine« des Jahres 1999. »Tonight we’re gonna party like the world is not enough!« Ich wünsche mir einen Remix.

 

Stupid Girl

 

Jetzt hocken Shirley Manson, Butch Vig, und Steve Marker ganz in schwarz gekleidet auf dem weißen Ledersofa ihrer Hotelsuite, mir und einem Kollegen gegenüber.

Der Reporter, mit dem ich das Interview teile, muß Frau Manson gleich mal herausfordern: Trauen Sie sich das zu, Frau Manson, uns im so intimen Kreis etwas auf dem Flügel vorzuspielen?

Shirley springt auf und spielt eine fröhliche Melodie. Das Ätherische weicht aus ihrem dünnen Körper. Und sie wirkt wie ein keckes, unvornehmes Mädchen, das uns allen einen Streich gespielt hat. Ich bin sofort bei ihr, denn ich hab schon begriffen: Die wird die elegische Dame so lange perfekt spielen, wie »Exaltiertheit«, dies Wort, das für Spielerinnen wie uns erfunden wurde, solange also z.B. »künstliche Übertriebenheit«, »sich in einer dem Anlaß unangemessenen Weise ereifern«, solange »gespielte Hysterie«, nicht zu den weiblichen Lieblingstugenden des Rockvolks gehört. Vor hundert Jahren, in den 1980ern, hat sie bei Goodbye Mr. McKenzie gespielt. Seitdem hat sie mehr gelernt als andere.

»Ich war mal eine miserable Keyboarderin«, sagt meine britische Lieblingssängerin, und lacht entschuldigend-unsnichtsschuldend. Weil das bei einem Reporter, der ihr jetzt ganz aktuell direkt nichts zutraut und daher zudringlich werden muß, jetzt nicht mehr zählt, ob sie irgendwann mal schlecht auf einem Keyboard war. So muß man’s machen, denke ich, immer über die erinnerten Schwächen lächeln, über die eigenen.

Dann, ja wann, wird endlich über ›beautifulgarbage‹ geredet?!

 

Shirley: »Wir sind eigentlich sehr soziale Leute. Wir haben einen Hunger danach, Dinge zu connecten, viele Leute zu treffen. Dann im Studio, haben wir diese soziale Energie auf uns konzentriert. Mit absolut niemandem geredet. Wir haben uns jede Nacht gestritten, wirklich jede Nacht, und wir hatten auch absolut das Bedürfnis, das zu tun.«

Butch Vig: »Trotzdem war alles sehr relaxt. Es war ein Prozeß von viel Rotwein trinken. Durchatmen. Kerzen anzünden und dann loslegen.«

 

Cup Of Coffee

 

Mit ›beautifulgarbage‹ haben sie gewissermaßen die David Lynch-eske Dekadenz ihrer frühen Alben geerdet. Dieses Leben zwischen Glamour und Ruin, Luxus und Verzweiflung – wobei auch letzteres ein Luxus ist. Man nehme sich nur mal diese exaltierte Pop-Ballade ›Cup Of Coffee‹ vor. Wie dieses klavierzarte Lied eine zersauste Shirley durch einsame Straßen schickt, bis die saubere CD ernsthaft zu knistern beginnt; und man sich mit Shirley in den Bars verschleudert, dann wieder an die Wände starrt, den ganzen Tag, literweise Kaffee trinkt und sich wünscht, nie geboren zu sein.

Garbage handelt von diesen Momenten im Leben, die man gleich darauf vergißt. Und stehen deshalb im Ruf, oberflächliche Geister zu sein.

Shirley Manson: »Früher habe ich mich oft hinter allem versteckt, aus Angst. Mittlerweile will ich direkter sagen: So ist es! Meine Texte handeln von mir: Ich versuche herauszufinden, wer ich bin und was ich bin.«

 

Nicht nur das heulende Elend des Scheiterns – es führen auch Glückspfade durch Garbages Rosengarten. ›Androgyny‹ ist so schmetternd-heiter, als hätte Phil Spector für Blondie eine neue, ruppig-rockende Formel des R ’n’ B erfunden. »The birds and bees they hum along, like treasures they twinkle in the sun.« Die Schätze des guten Lebens führen in den spannenden Refrain einer Rock-Hymne: »Boys in the girls room, Girls in the men’s room. You free your mind in your androgyny.«

Und ich dachte bis dahin, die Garbage-Frontfrau sei in aller Freundlichkeit eine der Ichichich-Einzelkämpferinnen, dabei leben ihre luftigen Lyrics ja von genialen Mehrfachbedeutungen! Am meisten gefällt mir ›Shut Your Mouth‹ – weil sie sich und den anderen darin befiehlt den Mund zu halten. Und dann auch wieder nicht. ›Shut Your Mouth‹ ist ein Gedicht über das Scheitern aller, die versuchen öffentlich Klartext zu reden.

Shirley Manson: »›Shut Your Mouth‹ habe ich um die Idee herum geschrieben, daß ich es niemals schaffe, meinen Mund zu halten. Schließlich bin ich ja dafür bekannt, daß ich immer sage, was ich denke. Ich kam an den Punkt, wo ich mich zwingen mußte, nichts zu sagen – denn alle haben sich über mich das Maul zerrissen. Und ich hatte keine Lust mehr, Stellung zu beziehen.«

 

Fix me now

 

Das muß ihr schwer gefallen sein. Denn Shirley Manson hat, wie bereits zu ahnen war, (noch) nicht den besten Ruf.

»Es ist ein schwerer Balanceakt zwischen Sex-Symbol und ernsthafter Musikerin, oder?«

Shirley Manson: »Ich bin mir nicht sicher, ob ich als Sex-Symbol gesehen werde. Es gibt immer Leute, die dich sexy finden, wenn du Erfolg hast. Ich präsentiere mich nicht übermäßig sexuell. Ich würde mich auch niemals vor einer Kamera ausziehen. Wenn die Leute mich diskriminieren, dann nur aufgrund der banalen Tatsache, daß ich eine Frau bin.«

»Kaum zu glauben. Ist das wahr?« Ich spiele gerne mal die Dumme. Ich schließe die Augen und sehe sie vor mir, in diesem gruseligen James-Bond-Video. »The world is not enough. But it is such a perfect place to start, my love. And if you’re strong enough …«

Shirley Manson (mit Nachdruck): »Ja, absolut! Die Behandlung, die ich erfahre, ist absolut unverzeihlich und sexistisch! Plattenfirmen, Rechtsanwälte, Business Manager, Journalisten sie alle trauen mir nicht das Geringste zu!«

Butch Vig: »Die Leute denken, die Band besteht aus den Guys, und Shirley kommt ab und an mal im Studio vorbei, singt ihren Text ein, und geht dann wieder.«

»Oder es ist die Macht der Schönheit?« schöpfe ich wieder Hoffnung. »Was braucht eine schöne Frau auch Talent zu haben?«

Shirley Manson: »Genau. Um Talent geht es nicht. Unsere Kultur belohnt bei einer Frau vor allem gutes Aussehen. Frauen müssen für immer jung sein und aussehen wie die Mädchen in den Magazinen. Eine Menge wichtiger, talentierter Frauen lassen sich deshalb noch immer nackt fotografieren. Sie machen sich nicht die Mühe, herauszufinden, ob es überhaupt nötig ist.«

Shirley Manson, eine Pop-Feministin? Ich bin wirklich irritiert now, daß sie so gescheit ist, und sie versteht nicht, warum ich nicht verstehe, und versucht deshalb, mich herauszufordern:

»Jetzt gib’s doch endlich zu«, ruft Shirley Manson aufgeregt, und ich schwöre, eine Musikerin, die versucht sich in die Rolle einer Musikjournalistin hineinzuversetzen, ist so selten wie ein Huhn in einer Oberschichtsfamilie, »gib es zu«, faucht die exaltierte Dame der Dotcom-Ära: »Weibliche Musikjournalisten haben es in diesem furchtbaren Popgeschäft genauso schwer wie weibliche Musiker und sind doch auch genauso wichtig wie wir!«

»Ja, absolut! So ist es. Es ist wirklich sehr gemein, alles. Aber ausziehen muß man sich nicht, oder?«

Shirley ist jetzt das Gegenteil eines James-Bond-Girls, wieder ganz das kecke-unvornehme Mädchen aus Schottland, das es nicht wagt, aus Angst den Mund zu halten.

Shirley Manson: »Schrei es laut raus: Men rule!!

(Kerstin, INTRO, 2001)