Parole Ohnmacht: noch 2 oder 3 Dinge über “NDR Doku”, Hamburger Schule, Feminismus und die 90er

von Kersty

Okay, jede*r hat also noch ´nen zweiten Post. „An Extra-Life is what I need“ – um es mit einem Song von Stella zu sagen. Und wer wäre Ella Grether, sich das entgehen zu lassen? An diesem Hamburger Schule-Sonntagnachmittag. Viele Jahre hat sie ja zu der Szene aus ihrer Jugend und Post-Adoleszenz geschwiegen. Toll also, dass so viele Leute plötzlich ihre/ unsere Positionen verstehen und es ein Bedürfnis nach Fakten gibt.

Fangen wir mal mit einem schmucklosen Stimmungsbild an:

Die Gesellschaft in den 1990er Jahren war immer noch sehr sexistisch, das wird heutzutage auch keine*r mehr ernsthaft bestreiten. Das Problem innerhalb der Musikszene waren im Kern wirklich nicht männliche Musiker, die viel geredet haben, zumal auch viel Schlaues dabei war, sondern z.B. das gesamte Verwertungssystem. Die Entscheider*innen im Musikgeschäft. Die Radio-Stationen, die Booker, die Plattenfirmen, die Indie-Labels, das Publikum, das den Jungs an den Lippen hing und den Frauen „Ausziehen“ zurief (Wie Bernadette so eindrücklich in der Doku erzählt. Immerhin hat die Doku von Natascha Geier eine neue Sichtbarkeit für z.B. die Geschichte von Bernadette La Hengst und Mobylettes / Nixe gebracht). Was auch nervte: Die meisten Musikzeitschriften, es gab ja nicht nur die Spex. Dort war an so etwas wie einen fortschrittlichen linken Diskurs gar nicht zu denken. Dazu kam noch der Girlie-Hype von Spiegel und Tempo im Jahr 1994, der die Entpolitisierung aller feministischen und linken Forderungen der jungen Generation feierte. Die Abwertung von Feminismus in allen Formen und Formaten. Ein Albtraum. „Wir sind politisch und sexuell andersdenkend“ war da echt eine coole Ansage von Blumfeld an diesen Zeitgeist, und später auch „Die Sache mit der Team Dresch-Platte“ von Tocotronic. Und überhaupt: Images von Jungs, die auch ein bisschen wie Mädchen aussahen. Also soo der Inbegriff von saturierter Männlichkeit waren die jetzt auch nicht, diese auch queer erscheinenden Typen.

 

 

Die Musik allerdings von den als Frauen gelesenen Musikerinnen aus der Hamburger Schule war einfach gar nicht kanonisiert und kaum präsent beim Publikum. Der Fan von Die Regierung hatte vermutlich die Mobylettes einfach auch nicht auf seinem Mixtape. Wie ein Kanon zustande kommt, ist ein sehr kompliziertes Thema. Noch im Jahr 2024 kriegt, wer in Bayern Abitur macht, kein einziges Buch von einer Autorin zu lesen. Wie wird es wohl in den 1990ern gewesen sein? Die schreibende Frau war doch eine Zumutung, es war ja noch das Ideal des leidenden Mädchens, das irgendwie fließt und so. Und das Magerideal hatte viele von uns fest im Griff. Man müsste eine Dokumentation über die Zumutungen machen, die die 90er Jahre wohl für alle Frauen dargestellt haben.

Aber zurück zur Hamburger Schule: die Jungs hatten natürlich Privilegien, die sie gar nicht als solche erkannten. Wenn ich den Titel der Doku schon lese: „Vom Kiez in die Charts“, das klingt so harmlos: Kiez. Und so schön und heimelig, auch ein bisschen schmutzig, okay. Und die Sexarbeiterinnen werden so `n bisschen als folkloristisches Element eingeblendet, von den Doku-Macherinnen. Es wird ein bisschen fun daraus gemacht, dass diese Szene eigentlich mitten auf der Reeperbahn stattfand. In Wirklichkeit gehörte die Straße aber nicht den Prostituierten, oder den Fußgängerinnen, sondern Männern und Zuhältern. Das musste ich jedenfalls, als ich dort wohnte, immer ausblenden. Dass die Reeperbahn ja eigentlich dem männlichen Recht gehört, sich eine Prostituierte zu leisten. Nicht gerade der Ort für eine Frau sich sicher zu fühlen. Will sagen: als kleines schmächtiges Mädchen über diese Straßen zu laufen glich einem Spießrutenlauf. Um überhaupt im heiligen Pudels Club anzukommen, musste man schon Strategien gegen Belästigung haben. Ich kenne keine einzige Frau, die da dabei war, ohne Gewalterfahrung, allein schon nur was den Hin- und Rückweg betrifft. Aber vielleicht täusche ich mich auch. Wie oft bin ich jedenfalls mit Herzklopfen, voller Angst, den fiesen, besoffenen Anmachsprüchen ausgesetzt zu sein, auf dem Weg zum Pudels und zum Karmers gegangen.

Allein an diesem Beispiel kann man erkennen, wie viele Privilegien die Jungs hatten. Wir waren so ungeschützt im öffentlichen Raum. Und auch deshalb ist jede Platte und jedes Konzert von einer Musikerin, das dort stattgefunden hat, eine solche Sensation. Mir blutet echt das Herz bei dem Gedanken, wie wenig Leute diese Girl-Bands gehört haben. TGV haben noch nicht einmal ein Label gefunden, und es war Bernd Begemann, der erwogen hat, eins für sie zu gründen. Von den Charts ganz zu schweigen. Wir waren damit beschäftigt heil über den Kiez zu kommen. An die Charts war nicht zu denken, in diesem anti-feministischen Klima allüberall, und auf diesem speziellen Kiez sowieso. Es ist sowieso ein Rätsel sondergleichen, warum es z.B. kein Essay gibt über den Zusammenhang von Reeperbahn, Frauenausbeutung, und Hamburger Schule.

Als ich 1997 dann  “richtig” nach Hamburg gezogen bin, bin ich erstmal bei einem Konzert von TGV gelandet. In Köln habe ich davon geträumt und dafür plädiert,  dass es in Deutschland mehr Frauenbands gibt, und in Hamburg gab es sie einfach. Das war auch toll. Will sagen, noch einmal: das sind alles ganz wertvolle Bands, die unter ganz schrecklichen Umständen ganz tolle Kunst gemacht haben. Das Machtgefälle zwischen den Frauen, die Musik gemacht haben (oder an exponierter Stelle darüber schrieben), und den Männern, die Musik gemacht haben, wurde immer größer. Wenn ich an die fiesen neunziger Jahre denke, dann fällt mir immer ein fieser Technostampfrhythmus aus dem Radio ein und ein Hohngelächter, das sich über den Feminismus ergießt, ein als “Schlampe” beschimpft werden, aus offenen Autofenstern und eine Armada aus Frauenzeitschriften, die bevormundende Tipps gaben, wie frau am besten noch drei Kilo mehr abnehmen kann. In meinem Roman „Zuckerbabys“, der in der Szene der Hamburger Schule spielt, habe ich das in der These zusammengefasst: „Die Männer machen Musik, die Frauen machen Diät.“(Natürlich gab es auch Männer, die Diät gemacht haben, und Frauen, die Musik gemacht haben).

Also natürlich haben die Männer in dieser Szene, wie überall, die schrecklichen Erfahrungen, die wir alle dauernd machten, gar nicht fassen können. Aber dazu hat auch ein Klima beigetragen, das Feminismus nicht möglich gemacht hat, so dass jede Gewalterfahrung von Frauen nivelliert wird. Man hatte dann wirklich das Gefühl, es gibt zwei verschiedene Welten; die der Männer und die der Frauen, und das, obwohl wir doch in derselben lebten. Das heißt aber nicht, dass es in dieser doch recht solidarischen Szene nicht doch noch selbstverständlich gewesen wäre, dass auch weibliche Musiker von den männlichen Support erhielten. Eigentlich war es so, dass Jungs und Mädchen im selben Klassenzimmer sitzen, und sie helfen sich auch noch untereinander, aber dann beschließen gefühlt höhere Mächte wie etwa Schulleiter*innen, Rektorate usw. dass jetzt aber nur die Jungs weiterkommen. Die Öffentlichkeit darf sich an diesem Punkt auf keinen Fall rausnehmen, und es auf die Musiker blamen. Man darf ja nicht vergessen, dass die männlichen Musiker auch oft “Outsider” waren; ich meine, wer denkt schon, dass er auf der Sonnenseite des Lebens gelandet ist, weil er Musiker ist? Ist jetzt auch nicht gerade der Beruf, den sich Eltern für ihre Söhne wünschen und der ein großes Einkommen oder Status garantiert.

Und was ich auch nicht leiden kann: ist dieses Wort vom „Männermusikspezialistentum“; das schließt ja die Möglichkeit, dass Frauen auch Musikspezialistinnen sind, schon im Wort aus. Das nervt mich einfach, Musik has always saved my life, und Musikspezialistin sein, auch. Und ich will nicht hören: da seid ihr aber ja auch die Einzigen gewesen. Gerade so als wäre es ein totales Privileg, sich leidenschaftlich mit Musik zu beschäftigen. Und seit wann macht man Frauen dafür fertig, dass sie sich zeitlich betrachtet vor anderen Frauen irgendwo ein Fachgebiet erschlossen und eine Position erkämpft haben?

 

 

Man kann auch mehrere Erfahrungen machen: als Mädchen hatte ich das Gefühl ohnmächtig zu sein, in der deutschen Gesellschaft, aber als Autorin und Musikspezialistin hatte ich Meinungsmacht. Ich habe versucht sie nicht zu missbrauchen. Ich konnte oft selbst nicht glauben, wie sehr die Leute auf die Spex gehört haben. Fragt mal Bernd Begemann, was mein damaliger Verriss seines Nachfolge-Albums zu „Rezession, Baby“ ihn gekostet hat. Das tut mir heute noch leid. Er hat ja Recht, plötzlich waren da dogmatische Tendenzen, und plötzlich war es nicht mehr cool, Bernd gut zu finden.

Die ambivalente Erfahrung, dass ein und dieselbe Person Macht und Ohnmacht erfährt, ist aber eigentlich etwas sehr „Normales.“ Gleichzeitig kann man auch als weiblicher Musikspezialist über männliche Acts schreiben UND über weibliche. Der NDR-Beitrag lässt es so aussehen, als hätten die Spex und ich nur über Männerbands berichtet. Indem die Erzählstimme der Doku das behauptet, nivelliert man die echt krassen Anstrengungen, die es mich /uns  seinerzeit gekostet hat, die musikalischen Beiträge von Frauen in der Spex zu hypen.

Aber Doku hin oder her, das steckt etwas anderes dahinter, ein Narrativ unserer Jetztzeit, dass Männer und Frauen gegeneinander ausspielen will. Plötzlich stört sich die Gesellschaft nicht mehr daran, dass eine Journalistin über Frauenbands schrieb, sondern dass sie über Männerbands schrieb. Als wäre ausgerechnet ich eine Komplizin der misogynen Verhältnisse gewesen, und nicht: eine Kämpferin dagegen, die den Pop-Feminismus für Deutschland miterfunden hat. Und da frage ich mich schon: warum hat sie aus all den vielen Informationen, die sie zu mir hätte sagen können, eine so verdrehte gesendet. Welchem Zweck dient dieses Narrativ – oder ist es einfach nur Uninformiertheit, dem Stress geschuldete Ignoranz gegenüber dem Werk einer Kollegin? Es wird gerade wieder so ein  „Schwarzweiß“-Denken en vogue: aber „Gut“ und „Böse“ sind gefährliche Konstruktionen, die sich dann ja jederzeit mit anderen Inhalten füllen lassen. Also in anderen Worten: Sündenbockpolitik. Ohne mich.

Ich hab eben nicht nur z.B. über Blumfeld, Kolossale Jugend, Bernd Begemann, Tocotronic usw geschrieben, sondern auch (wiederholt) über die Lassie Singers. die Kastrierten Philosophen, Die Braut haut ins Auge, JaKönigJa, Stella usw. Die Spex hatte zum größten Teil männliche Leser und zum größten Teil männliche Autoren, und die zwei Seiten über die Lassie Singers, in denen ich Christiane Rösinger als die „wichtigste Songwriterin Deutschlands“ bezeichnet habe  – während alle dachten, Almut und Christiane wären Schlagersängerinnen – waren eben genauso hart erkämpft wie die achtseitige Titelstory über Blumfeld. Klaus Theweleit, den ich mir hier mal frecherweise erlaube zu zitieren, hat damals zu mir freundlicherweise gesagt, der Lassie-Singers-Artikel sei ein
Text, der Türen öffne! So weite Kreise zog das damals. Dieser Artikel  war ein Gamechanger für die Lassie Singers, sie hatten auch dadurch etwas mehr Respekt in diesen sogeannten “Männermusikspezialistenkreisen.” Und welche Indiemusikerin aus Deutschland war überhaupt je in Musikzeitschriften vertreten? Musikzeitschriften in Deutschland haben eher selten (und zwar bis heute) hiesige Indiemusikerinnen gefeatured.

Deshalb bin ich (bei allem Respekt vor Christianes Erfahrungen, und natürlich auch vor ihrem aktuellen, starken Tatort-Move) so ein bisschen genervt, wenn sie so tut, als wäre sie nie ernst genommen worden, in diesen intellektuellen Musikkreisen. Ist ernstgenommen werden von einer ambitionierten Musikjournalistin weniger Wert, als wenn es ein Typ gewesen wäre? Davon abgesehen, auch wenn es mir keiner glaubt, waren es halt leider auch Sandra und ich, die sowohl Christiane als auch Bernadette (und Elena Lange) mit den Ideen des neuen, damals aufkommenden Feminismus der dritten Welle bekannt gemacht haben. Das würden sie auch sicher
nie bestreiten. Sie dachten ja zu Beginn noch, Feminismus, das wäre die Zweite Welle. Dass es überall in Europa / und USA einen coolen neuen Feminismus gab, hatte sich ja nicht so schnell nach Deutschland rumgesprochen, war klar.

Und dann will man nicht, wenn man das gemacht hat, unter Schmerzen und Beschimpfungen und Drohungen und Dauermobbing von allen Seiten, im nachhinein in so `ner Doku dastehen wie jemand, der halt nur über Männerbands geschrieben hat. Neee, liebe Natascha Geier, wir haben in der Zeit auch popfeministische Ideen vorangetrieben, und deshalb sage ich das hier, in aller Länge und Ausführlichkeit, auch wenn es kleinlich und zänkisch und eitel und viel zu besessen und detaillistisch klingen mag. So viel zum Thema „Sie stand nicht im Rampenlicht.“ Meinungsmachende Journalistinnen hatten  immer schon einer der schlimmsten Formen von Rampenlicht an der Backe: die anonyme Drohung aus dem Hinterhalt. Wenn Natascha Geier jetzt auch sehr angegriffen wird für diese Doku, so muss man doch sagen, die Diskussion ist noch im Rahmen von normaler, demokratischer Argumentation. Auch wenn es natürlich bestimmt unbestritten weh tut, wenn man öffentlich für
seine seine Arbeit kritisiert wird.

Aber von Hass und Hetze ist es echt noch weit entfernt, was die emphatischen Zeitzeuginnen sagen. Wenn ein paar Musikfans ihre Lieblingsband und Lieblingsdiskurse vermissen, sollte man sich nicht als Opfer gerieren. Es wird immer so sein: bei vielstimmigen Subkulturszenen werden sich immer diejenigen beschweren, die unsichtbar
gemacht wurden. Und natürlich hat das auch immer etwas Lächerliches. Aber auch zutiefst Menschliches. Und wenn man über eine so vielstimmige Szene berichtet, hätte man zumindest das vorher wissen können. Es ist immer wichtig, die eigene Macht als Journalistin zu reflektieren. Man hätte diese umstrittene Doku dann auch als persönliches Memoir benennen müssen, wenn es so gemeint war. Dann schreibt man halt nicht „Die Hamburger Schule“ obendrüber.

Aber ich weiß auch, weshalb ich aufgehört habe, Meinungsjournalistin zu sein. Klar ist das anstrengend, wenn man eigentlich nur ein fröhlicher Mensch bleiben will, der so viel Musik im Herzen trägt, dass es doch hoffentlich für alle Geschlechter und Gemüter reicht.

P.S. Für alle, die es in ihrer Jugend und Früherwachsenenzeit nicht geschafft haben, den weiblichen Stimmen der Hamburger Schule zu lauschen, gibt es auch diesen Monat wieder eine Möglichkeit, das nachzuholen. Und zwar auf einem Konzert mit ganz gegenwärtiger toller Musik (& Lesung):

Ich brauche eine Genie #23 – Popkultur, Feminismus, Luftschlösser bauen & so. MUSIK: Bernadette La Hengst, Sofia Portanet, The Doctorella. LESUNG: Kersty Grether (“BRAVO BAR”) – Tickets kaufen (rausgegangen.de)

 

 

Zum Weiterlesen auf diesem Blog:

“Schmück die Wohnung in meinem Kopf:” Heute wäre Kristof Schreuf sechzig Jahre alt geworden. Ein Nachruf. – Ich brauche eine Genie