Die Laudationen und wilder-Foto-Galerie-Mix: Die Verleihung des Glitzer-Eichhörnchens in der Kuppelhalle/silent green

18 eine Genies bitte!

Damit war bei unserer anti-maskulinistischen Praxis jetzt auch nicht mehr zu rechnen, dass wir mit dem aufbrausenden Drumset von Rammstein im Rücken in einem stillgelegten Krematorium den neuen Award für Popkultur aus der Taufe heben. Aber so ist das Leben, das der Tod uns mitgegeben hat. Um es mal nicht minder martialisch zu formulieren …

alle Live-Fotos: c) Clydell Heidrich.

 

 

Die “Ich Brauche Eine Genie#18”- Gala mit Preisverleihung war eine märchenhafte Reise in die herzhöherschlagende Bella Utopia! ❤ Es war so ein fulminanter, so ein schöner Hot-in-the-City-Sommerabend. Danke, dass ihr so zahlreich erschienen seid! Das ist in diesen “Immer-Noch-Corona & Post-Corona”-Zeiten und bei diesen Temperaturen echt nicht selbstverständlich. Wir wissen das wirklich sehr zu schätzen; auch eure Euphorie und Empathie. Hat uns viel Kraft zurück gegeben.

 

Laudatio auf Finna

 

Jede Emotion macht uns stark.

In unserem floralen „Ich Brauche Eine Genie“- Universum war z.B. die Rapperin FINNA in den letzten fünf Jahren eine feste Größe: Liebe, Wut, Rotz und Glitzer treffen auf klare Statements, sexuelle Selbstbestimmung und queerfeministisches Empowerment.

Mit Finna ist Rap und Empathie eins geworden, sie zelebriert beides!

Meine erste Begegnung mit Finna wird mir für immer in Erinnerung bleiben: Die Grinserebellin fiel mir gleich durch ihr herzliches Lachen und den Versuch auf, sich in die Probleme anderer hinzuversetzen, als wir uns beim Soundcheck eines Festivals von der Amadeo Antonio Stiftung vorgestellt wurden. Das war 2016, als der queerfeministische Rap hierzulande noch einer Mutprobe glich, weil es noch nicht selbstverständlich war, dass Deutschrap, Antisexismus und Antikapitalismus wieder zusammengehen. Auch dank Finnas Vorarbeit mit Stücken wie „Musik ist Politik“ hat sich das in der Zwischenzeit auch hierzulande geändert/gegendert. Kein Mensch wundert sich im Jahr 2022 noch, dass auch Feminismus, der Kampf gegen Homophobie und Bodyshaming fester Bestandteil von Hip Hop Songtexten ist.. Oder anders gesagt: hey, das ist Finnas Zeit!

Nach so vielen Pionier-Jahren kommt ihr Debutalbum genau zum richtigen Zeitpunkt heraus, falls es denn so etwas wie einen richtigen Zeitpunkt für richtige Musik überhaupt gibt. Aber beginnen wir doch auf jeden Fall mal bei der Musik von Zartcore: Finna hat so viele Themen, dass man glatt dazu erwähnen muss, wie fantastisch auch die Musik ist, wie zartcore. Das Album ist so etwas wie eine Manifestation des Zartcore – auch als musikalische Bewegung.

Sie scheißt auf die Scheißwelt da draußen, denn ihr Innen ist ihr Außen, sie macht den Rap wieder soft und zart. Findet Konkurrenzkampf scheiße: „Ich bin mehr als was ich leiste, ich bin ich und ey: das reicht schon.“

Dazu passt auch, dass sie ihre Beats selbst produziert hat oder gemeinsam mit Spoke. Sie sind fett und punpen, sie rappt und hat Melodien und eine Stimme zwischen Pop, Soul, und Punk. In allem ist Power und Liebe. Mal Hip Hop, mal Trap , mal rappt sie half, mal double time. Sie spielt auch Klavier!

Und immer geht`s darum mentale Downs zu überwinden oder damit zu überwintern. Bodyshaming zu bekämpfen, Body Positivity rules! Es ist zum Zeugnis einer Künstlerin geworden, die sich  ganz, ganz zart zurück ins Leben boxt und ein Album darüber wie man an Selbstzweifeln wachsen kann.

Von Finna lernen heißt: seine Träume nicht zu verraten bzw. sie so laut in die Welt hinein zu verraten, dass die Welt zurück umarmen kann.

Mittelfinger in die Luft, Riots not diet, Pure Love im Club fragt sich nur wer schon so weit ist!

Wir sind so weit! Finna! Hier ist dein Preis.

 

Laudatio auf Frau Kraushaar

 

Als ich den Song Bella Utopia von Frau Kraushaar gehört habe, fiel mir ein wieder ein Song ein, den ich vor 10 Jahren mal angefangen habe zu schreiben, aber nicht weiter verfolgt habe. Vielleicht weil ich nicht mutig genug war mögliche Referenzen auszuprobieren. Der Song hießt: „Bohemia Utopia, mach die Schiffskapelle klar“ und war mir sehr peinlich.

Jetzt kommt die Hamburger Musikerin Frau Kraushaar alias Silvia Berger vorbei mit einem 10-minütigen Opener-Song namens „Bella Utopia“  für das gleichnamige Album und macht mal so eben alleine die Schiffskapelle klar. Aber was heißt alleine:

Der mit Sicherheit außergewöhnlichste Song des Jahres – der sich wirklich keiner Musikrichtung und keinem Genre zuordnen lässt, wo man nicht mal noch sagen kann ob es Klassik oder Pop ist – zeichnet ein atmosphärisches Bild einer „idealen“ Naturlandschaft.

Die Tiere sind hier zu Hause. Die Grillen zirpen, ein Käfer fliegt vorbei, es weiden Ziegen, Schafe und Kühe im Sonnenschein. Alle sind da. Schließt man die Augen, kann man sogar die Bewegung der Tiere anhand der Glocken nachzeichnen. „Die Natur ist mein Vorbild, mein Zufluchtsort, mein Ideal. Tiere sind meine Freunde, ich bin voller Bewunderung für ihr Sein“, sagt Frau Kraushaar, die außerdem auch noch Bildende Künstlerin ist und einen Blick für das Schöne, Wahre hat. Eine Möglichkeit eine bessere Welt zu erschaffen, könne sein, das Mensch-Werden (teilweise) zu verlassen und mehr in die Tier-Werdung zu gelangen, sagt sie und meint es im Sinne von Deleuze und Derrida, dass Menschen und Tiere sich in ihren Begegnungen gegenseitig beeinflussen und der Mensch zugleich das viel schlechtere Tier sei. Aber auch mit Novalis liegt man bei Frau Kraushaar nicht falsch: „Zur Welt suchen wir den Entwurf – dieser Entwurf sind wir selbst. Was wir auch an dem Song lieben ist die beiläufige Aufzählung positiver Adjektive:  “Bezaubernd”„ sagenhaft“, „unübertroffen“, „attraktiv“, „einzigartig. Ein Song wie ein Mantra.

Und natürlich die schönste Utopie des Jahres! (hier hören)

 

Laudatio auf Nashi44:

Durch HipHop hat die MC bereits sehr früh Kraft getankt – mit ihrem eigenen Output möchte sie nun Rückhalt und Stärke zurückgeben. Und genau das gelingt NASHI44 auf Anhieb mit ihren großartigen Tracks und ihrer so herzlichen wie unvereinnehmbaren Bühnen-Performance. NASHI44 ist eine viet-deutsche Rapperin aus Berlin-Neukölln. Sie erobert nicht nur Begriffe sondern auch Räume für sich zurück.  Sie packt politischen Aktivismus in empowernde Songs; wird dabei aber nie zu agit-proppig oder plakativ. Es ist auch immer noch freche eigensinnige Alltagsbeobachtung, persönliche Verletzbarkeit und freches Dagegenhalten. Dabei immer selbstverständlich souverän und humorvoll – und mit echt fantastischen Reimen.

Ihre Debut Single „Aus der Pussy“ erschien im Mai 2021, und kann als Antwort auf die alltagsrassistische Frage „Wo kommst du her?“ und „“Nee, wo kommst du wirklich wirklich wirklich her“ verstanden werden. Ganz nebenbei schreibt sie dabei noch einen liebevolle Repsektbekundung an ihre Mutter. 2022 kam dann die erste EP ASIA BOX.  Von ihren Fans schon sehnsüchtig erwartet. Auf modernen Beats und mit provokanten Zeilen singt sie darüber mit welchen Zuschreibungen und Zumutungen Asiatinnen konfrontiert werden. Auf Anhieb beeindruckte mich z.B. die sarkastische Schlagfertigkeit mit der sie in ihrem Track „Suck on my spring roll“, Exotismus verächtlich macht: „Du stehst auf gelbe Schlitze, na dann geh doch zur Post. Allein schon dafür und natürlich für all die anderen fulminanten Tracks von ihrer 7 Songs starken EP verleihen wir ihr diesen Preis für die genialste EP.

 

Laudatio auf Acht Eimer Hühnerherzen

Sie live zu sehen, macht sogar noch mehr Spaß, ihre Videos zu sehen und zu hören,  die schon mehr Spaß machen als Achterbahnfahren mit Koffein oder Promille im Blut: oder auch einfach nur mit Stresshormonen an der Backe.

Keine Band verbindet derzeit so toll schnellen rauen Punk mit komplett ausgefeilten Songs über quietschfrohe, verzweifelte Alltagssituationen, aus denen man sich wiederum nur mit Acht Eimer Hühnerherzen retten kann. Ich musss gestehen: sie sind mein Schleudersitz aus meinem Stress und mein Fall schirm, wenn ich großmäulig und auf vier Spuren oder auch auf allen Vieren, durch Berlin düse, fahre, streunere,  und dann erst feststelle, dass alle anderen genauso unterwegs sind wie ich: großspurig, charmant, und immer auf der Suche nach der letzten Spur des Punk.

Gerade für mich, die ich in meiner Jugend nur durch die Musik von The Jam gelernt habe, morgens aufzustehen, ist es eine besondere Freude, einfach mal wieder etwas zu hören, eine Musik die schneller ist als die Verhältnisse, die sie besingt und sie hoffentlich deshalb auch überwinden kann, so hofft man jedenfalls, und die dabei so drüberstehen wie drinstehen und doch ganz woanders stehen kann.

Heute stehen sie hier bei uns auf der Bühne und da gehören sie auch hin, wir sind wahnsinnig froh, dass sie bei unserer volljährigen Nummer dabei sind und ja wir freuen uns auch immer, wenn Männer und Frauen völlig selbstverständlich zusammen Musik machen, das wird ein tolles Jahrzehnt mit Acht Eimer Hühnerherzen, wenn der Popfeminismus endlich volljährig wird und selber Auto fahren darf, oder in die genau richtige Richtung abbiegt.

Hier ein Preis für Johnny Bottrop, Apocalypse Vega und Bene Diktator.