Manic Mittwoch pt 6 – Cut your hair!

von Kerstin 

Als Tochter einer Friseurin blickte ich bislang immer nur positiv auf das Thema „Haare“.  So etwas wie „Haar-Sorgen“ kannte ich nicht. Irgendwas kann man schließlich immer machen, wenn man seine Haare zum Beispiel zu dünn oder zu dick findet, zu langweilig-dunkelblond oder zu sensationalistisch grell-blond.

Und es stimmt ja auch: irgendwas kann man immer machen.

Für den Fall, dass man, so wie ich, in diesem Sommer, extrem allergisch auf einen Inhaltsstoff (Nickel) in der Haarfärbepackung reagiert, kann man seine schönen langen Haare, über die man jahrelang gewacht hat wie über einen selbstangelegten Garten (nicht zu dunkel und nicht zu hell-blond) ja zum Beispiel auch einfach streichholzkurz abschneiden. Ja, doch, das geht. Man muss sich nur klar machen, dass ein Streichholz sooo kurz ja nun auch wieder nicht ist.  Und meine frisch-geschnittenen Haare haben ja auch eher die Länge eines sehr großen Streichholzes (solche gibt`s ja schließlich auch, z.B. zum Holz anzünden). Oder so lange wie die Zigarre im Mund von Brecht. 

Ist das jetzt die Strafe dafür, dass ich zu blöd war die Packungsbeilage einer Haarfärbepackung zu lesen?

An schlechten Tagen sehe ich aus wie Max und Moritz, an guten wie der junge Blixa Bargeld –  oder wie  einer von den Urpunks, wie Viv Albertine sie in ihrem Buch „Typical Girls“ so treffend beschrieben hat. Die Leute, die den Punk erfunden haben, haben ja nichts Raffiniertes gemacht mit ihren Haaren, so wie wir Dorfpunkettes, die wir die Haare immer zu lang trugen und sie deshalb mit scheußlich viel Haar-Spray in Form bringen mussten.  Die Urpunks wie die Sex Pistols oder die Clash oder die Jam hatten einfach nur streichholzkurze Haare, und wenn Haare so richtig rapselstreichholzkurz sind, dann stehen sie wohl automatisch nach oben, zumal wenn man noch etwas Sheabutter oder Kokosöl reinschmiert. Für diesen Fall ist es sogar von Vorteil, wenn sie eher dünn sind.

Aber nun gut, ich will nicht drum herum reden: meine Haare sind ab. Dabei hatte ich, als Tochter einer Friseurin und als Frau des Wortes (Schriftstellerin! Journalistin! Moderatorin! Songdichterin! Kolumnistin 😉 ! ) doch die besten Voraussetzungen die Packungsbeilage eines Haarfärbemittels (richtig) zu lesen; aber wer macht das schon. Wenn man von allen Sachen, die man benutzt die Packungsbeilage lesen würde, käme man ja nie über die Straße, und ich habe mir doch nur einmal in zehn Jahren meine Haare selber gefärbt, ansonsten war ich ja immer beim Friseur, und schon passiert sowas. In der Packungsbeilage stand ja sogar, dass man im Fall einer Nickelallergie lieber erst mal eine Probe nehmen soll, weil in dem Haarfärbemittel nämlich „Nickel“ drin sei. Was für ein Scheißzeug! Wie kann es sein, das man so ein beschissenes Scheißzeugs in ein Haarfärbemittel macht? Eine Menge Leute haben eine Nickelallergie, das ist eine der häufigsten Allergien überhaupt, und nicht umsonst steht auf jedem Schmuckstück, das man bei „Brigitte Bijou“ kauft, ob es Nickel enthält oder nicht. Meistens nicht.

Ich dachte: Nickel in Kosmetikprodukten, sowas gibt’s doch gar nicht mehr. Ich habe nämlich eine sehr extreme Nickelallergie, ansonsten gibt es nur noch einen Stoff, auf den ich allergisch reagiere (Soja). Als ich einmal einen Allergie-Test gemacht habe, kam heraus, dass ich eigentlich nur auf Nickel so richtig krass allergisch bin. Ich hätte es also besser wissen können, hab ich aber nicht. Schon wenige Minuten, nachdem ich das Zeugs in meine Haare gerieben habe, fing alles auf meinem Kopf an wie verrückt zu kribbeln, aber ich Idiotin habe gedacht: das kommt davon, wenn man sich die Haare selber färbt, nächstes Mal wieder beim Friseur. Ich wünsche, ich hätte es gleich in dem Moment wieder ausgespült, aber nein, ich hab`s auch noch über eine Stunde einwirken lassen, in dem Gefühl, das Kribbeln geht schon wieder weg, wenn ich es ausspüle. Aber es wurde immer schlimmer, am nächsten Morgen hatte ich rote Pusteln an den Wangen, besonders am Kiefer und Kinn, da wo die Haare nachts gelegen sind und mein ganzer Kopf hat gejuckt. Es hat ein paar Wochen gedauert, bis ich begriffen habe, dass da nur eines hilft: abschneiden. So kurz wie möglich, so dass so viel wie möglich von dem alleregieauslösenden Stoff weg ist, ich kann ja jetzt nicht bis zum Rest meines Lebens so rote Punkte im Gesicht haben. Mein Gesicht ist mir dann doch noch mehr wert als meine Haare…

Die Friseurin, zu der ich ging, war recht unsentimental. Für sie war es einfach nur ein weiterer Haarschnitt. Aber wahrscheinlich hatte sie heimlich doch ein bisschen Mitleid mit mir, jedenfalls betonten sowohl sie als auch ihr männlicher Kollege hinterher, wie gut mir doch die kurzen Haare stehen, ich würde jetzt zehn Jahre jünger aussehen. Das sagt sie wahrscheinlich immer, zum Trost. Denn ich sah ja vorher schon zwanzig Jahre jünger aus als ich bin, und nochmal zehn Jahre jünger, das wäre ja schon fast Baby. Aber genaugenommen hat sie Recht. Ich fühle mich wie eine Mischung aus kleiner, frecher Junge und Baby. Ich fühle mich nicht mehr wie diese Instagram-Frau mit den langen, blonden Haaren. Dieses selbstverständliche „Wer ist die Schönste im ganzen Land“-Gefühl ist weg. Oder es kommt von einer anderen Seite, eher so als Gegenwind. Also ich jedenfalls schonmal nicht, so viel steht fest. Irgendwie auch beruhigend, nicht immer den Scheiß-Schönheitsidealen zu entsprechen (klar, Platz nach oben ist da immer, aber…) Oder sagen wir:

Nicht immer nur von „queer“ reden, es auch mal machen, denke ich dann und wann, wenn ich mal wieder an einem dieser Exemplare mit wundervoller Löwinnenmähne vorbeilaufe, und das fühlt sich seltsamerweise total gut an. Vor zehn, fünfzehn Jahren hatte ich die Haare schon mal so kurz; da war das noch eine ganz normale Sache: dass man eine Frau mit kurzen Haaren ist. Heute sieht man im Stadtbild fast nur Mädchen mit langen Haaren, also jedenfalls ist das die Norm und alles andere ist eine Abweichung, wenngleich es Anzeichen dafür gibt, dass so richtig kurz eine Trendfrisur ist. Aber es ist als Abweichung markiert, wo was wie “Size Plus”: bei Germanys Next Topmodel. Wer es sich leisten kann, trägt sein Haar lang.

Man könnte es aber natürlich auch umgekehrt sehen: wer es sich leisten kann, trägt sein Haar kurz. Ich zum Beispiel. Ich habe jetzt kurze Haare. Was für ein Hingucker! Wie ein Junge. Man sollte meinen, dass das in diesem feministischen Zeitalter eine Selbstverständlichkeit wäre.  Ist es aber nicht. So wie die Männer Vollbärte tragen, so tragen die Frauen lange Haare. Als ob sie sich ihres Geschlechts rückversichern müssten, in Zeiten, in denen doch nichts so out ist wie Geschlechter-Binaritäten. Oder nichts so „in“… – 

Ich bin jedenfalls nicht mehr Part of the Game. Gehe nicht mehr als pinkfarbenes Überraschungs-Ei, bin meiner Nickelallergie jetzt auf eine abstrakte Weise dankbar, dass es so gekommen ist. Eine Experience in Walking through the Gegenwart des Jahres 2019, die ich durch keine Droge hätte machen können. Andererseits: war es nicht schon immer so? Auch vor dem queeren Zeitalter?

Lange Haare sind was für Hippies und Spießer, kurze Haare sind punk (es sei denn, man wäre ein Junge aus der Arbeiterschicht, da wäre dann die Losung umgekehrt, wie wir alle wissen, seitdem die Gruppe Pulp das Phänomen in ihrem Song „Common People“ besungen haben: „Rent a flat above a shop/Cut your hair and get a job“. Keine Faxen mehr machen, schmink dir endlich die Träume ab, Junge, und werde ein Soldat des Alltagfunktionierens. Da wären dann lange Haare ein Zeichen von Rebellion.)

Aber ich will jetzt auch kein Haar-Shaming betreiben oder noch schlimmer: die Sache moralisch/politisch betrachten. Soll jede*r die Haare so tragen, wie sie_es_er es will.

Ich muss mich nur noch schnell dran gewöhnen wie ich jetzt aussehe. Haar-Sorgen kenn ich nämlich nicht, als Tochter einer Friseurin.

P.S. Und außerdem hab ich mir den Zopf, der da abgeschnitten wurde, ja aufgehoben.  Fürs nächste Doctorella-Video. Man kann auch als Frau mit kurzen Haaren auf Instagram und Youtube gehen. Und mit Soja-Allergie vegan leben. Aber das ist eine andere Kolumne.

P.P.S. Zum Foto: Sieht es auf dem Kopf nicht ein bisschen aus wie eine Erdbeere? 

mit Sascha Rohrberg/Doctorella