Frau mit Kopfhörer

Heliums Schattenlieder, Mary Timonys Lidschatten

 Von Vamp zu Vampire (und gegen das Empire)

 

Mit tatkräftig guter Laune beginnt das Album von Helium. In ›Pat’s Trick‹ flimmert das Leben in seiner Kostbarkeit, noch taufrisch ist hier die helle Freude an allem, was wachsen kann; daß es einen Frühling gibt, daß man sich verabreden kann; die Erinnerung, Teil einer Piraten-Gruppe gewesen zu sein.

Die Zeile »feed me, feed me, feed me« so positiv, als ginge es nur um die schönen Seiten des Lebens. Selbst die Melodie ist freudig entzückt von den Dissonanzen. Das darauffolgende ›Trixie’s Star‹ geht ähnlich vor. Seiner »Some day … alles wird gut«-Rhetorik werden wir noch häufiger begegnen. Eines Tages … wird sogar das Universum sich bewegen, und wir werden sehen, wie verloren wir waren.

Und wir werden, so steht es in Großbuchstaben im Lyric Sheet, »Cruising and shooting and fucking like some kind of movie«. Wie some kind of movie geht die Platte auch weiter – genauer gesagt, wie ein Horror-Film. Denn was darauf so waghalsig beschworen wurde, die ganze Zeit, ist nicht so harmlos, wie es klingt. Es geht vielmehr um eine Kraft, um die nötige Kraft, die anti-depressive Kraft für einen nihilistischen Ausbruchsversuch. Ja, mehr noch: Songwriterin Mary Timony bastelte uns geradezu eine Rachesongparade.

So wechselt spätestens Song Nummer Vier sein Interieur aus. Nicht mehr von Blumen des Lebens ist nun die Rede, sondern von Todesengeln. Schön-schaurige Verhöre folgen. Schmetterlings-Küsse, die Umrisse schwarzer Seen, vorsichtiges Heranschleichen einer Klapperschlange. Wo die Liebe in den Metaphern des Fliegens beschrieben wird, hat sie – wie in ›Silver Angel‹ – fast außerirdische Flügel. Und das klingt gar nicht schwelgerisch. ›Comet 9‹ ist ein instrumentales Piano-Todes-Geklimper mit einer silbrigen Gitarre, die ihr kleines hüpfendes Spiel dazwischenspielt.

 

Trixie’s Star

 

Immer wird auf ›The Dirt Of Luck‹, dem Debüt-Album der Bostoner Band Helium, ein freiheitsspendendes Element (verzierte fiepsende Töne, harmonische Keyboard-Melodien, hohe ätherische Hauchgesänge) mit bedrohlichen Atmosphären unterlegt, bis man Leichtigkeit und Bedrohlichkeit nicht mehr voneinander trennen kann. Das hat nur wenig mit dunkler Romantik zu tun, sondern zeigt eher zurückgehaltenes Lachen, stille Komik.

Mary Timony hat eine Platte darüber gemacht, wie es sein wird, diese Art Mann, diesen speziellen Typus Arschloch, der ihr das Leben aushauchen wollte und sie an den Rand einer Depression gebracht hat, wie es sein wird, ihn um die Ecke zu singen. Sie hat sich dafür zwei hilfreiche Vampire zugelegt. Um zum Vampir zu werden, braucht der Vampir einen Namen. Pirate Prude heißt Vampir Nr. 1 (und das war auch der Titel ihrer ersten EP vom letzten Jahr).

Mary Timony: »Pirate Prude ist eine ehrbare Hure, sie zerstört das Böse durch Spucken und Sprechen.« »Warum gerade Pirate Prude?«

Mary sitzt mir gegenüber, sie trägt einen pinkfarbenen Lippenstift, eine einfache Jeans mit weißem T-Shirt, und ihr braunes Haar ist zu einem Zopf zurückgebunden. Sie hat bereits erzählt, daß ›The Dirt Of Luck‹ davon handelt, wie es ist, langsam verrückt zu werden. Stück für Stück könne man das auf dem Album hörend nachvollziehen. Aber da ist noch eine andere Geschichte. Zuerst der Titel.

»Als ich klein war, habe ich mit meinem Bruder zusammen oft Pirat gespielt. Deshalb mag ich das Wort so gerne. Pirate Prude ist eine Figur, die starke weibliche Macht verkörpert. Ich hätte gerne einen Teil von ihr in mir. Sie ist die Projektion der ultimativen, weiblichen Freiheit. Und ich liebe Frauen, in denen ich etwas von einem Piraten entdecken kann.«

Und wer ist Vampir Nr. 2, den sie Bitch Trix nennt?

Mary Timony: »Bitch Trix ist ein apokalyptisches Monster. Ein Vampir, der aus dem Samen der Wut entsteht und Aktionen gegen das Patriarchat durchführt.« Zu diesen beiden verwandelt sich die hübsche, zierliche, sehr jung aussehende Mary Timony in ihren Liedern. »Ich nehme die Rolle einer vampirähnlichen Prostituierten ein. Ich denke, es sind einfach eine Menge Songs drauf, die von einer schlechten Beziehung handeln.«

»Mit hochhackigen Schuhen kommst du nicht bis in den Himmel, du bist nur ein gefallener Engel«, heißt es sinngemäß in ›Skeleton‹, und es ist nie klar, wer da mit wem sonderbare Dialoge dieser Art hält. Und schnell merkt man, wieso Helium so mühelos das Bedrohliche mit dem Leichten mischen können: Beides wird eben gutgeheißen. Das Leichte (= das Weibliche) ist bereits die Bedrohung.

Mary Timony: »Ich sammle gerne weibliche Dinge. Kleider, Lippenstifte. Ich mag es, mehr aus ihnen zu machen, als sie vorgeblich sind.«

Mary Timony – walking on the edge of Frauenmacht. Sie spielt mit mythenbestückten Bauklötzen. Es ist ihr klar, daß Männer es gerne haben, wenn Frauen ihre Ziele mit den »Waffen einer Frau« zu erreichen versuchen, und sie parodiert das, indem sie ihr »Ziel« persönliche Gegengewalt nennt. Sie spielt damit, daß Frauen in dieser Gesellschaft vor allem eine imaginäre, eine eingebildete Macht haben. Spielt mit dem Mythos von der alles verschlingenden Kraft der Frauen.

 

Bitch Trix

 

Dennoch hat Mary Timony keine manifeste weibliche Heldin erfunden – dafür sind ihre Songs zu vieldeutig. Es sind genau diese starken melancholisch-gebrochenen Bilder, die mich daran denken lassen, daß vieles auf ›The Dirt Of Luck‹ klingt, als habe sich dieser gefallene dunkle Engel, als der Frauen so oft durch Bilder der Popmusik geistern, als habe der sich selbständig gemacht. Viel mehr als nur ein eigenständiges Räuspern ist zu hören. Ich muß an ein Lied denken, ›There She Goes Again‹ von Velvet Underground, das Lied über eine zu zähmende Hure. Wie kommt die sensible Mary Timony zu so extremen Aussagen?

»Durch die Art und Weise wie mich Brian, mein Freund und unser früherer Bassist, behandelte, fühlte ich mich wie eine Prostituierte. Er hat mich dazu gebracht, die Musik genau so zu machen, wie er wollte, und er hat mir dafür Geld oder Gitarren oder was auch immer gegeben. Er hat immer geplant, und ich habe immer dagegen gehalten. Wir sind nicht zurecht gekommen, und die Musik, die wir damals gemacht haben, reflektiert genau das. Es ist traurige und ärgerliche Musik, denn ich war traurig und ärgerlich zu der Zeit. Dazu kommen allgemeine Erfahrungen. Wenn du eine Frau bist und nicht mitreflektieren kannst, in welch frauenfeindlicher Umgebung du lebst, dann geht’s dir wirklich schlecht.«

Brian Dunton, Bassist der »Pirate Prude«- Phase, ist mittlerweile durch Ash Bowie von Polvo ersetzt worden. Sind diese schlechten Erfahrungen der Grund, weshalb sie vorhin gesagt hat, ›The Dirt Of Luck‹ sei eine Platte darüber, wie man langsam verrückt wird?

»Ich bin durch eine Art spirituellen Tod gegangen. Ich hatte eine Phase, in der ich nur noch über den Tod geredet habe. Immer wenn in meinem Leben eine große Veränderung ansteht, die meine Unabhängigkeit erfordert, merke ich, daß ich irgendwo in meinem Kopf Unabhängigkeit mit Tod gleichsetze. Als ich das College beendet hatte, mußte ich ununterbrochen übers Sterben reden. Nachdem ich mich von Brian, der eine solche Kontrollinstanz in meinem Leben war, getrennt hatte, wurde ich sehr depressiv und kam in eine Phase, wo ich mit nichts mehr fertig wurde. Ich konnte nicht mehr essen, ich konnte nichts mehr tun, außer mit den Geistern durch die Wand zu reden.«

»Flower Of Life, Bird Of Spring« – das meint auch den ersehnten Anschluß an eine Lebensader. Sie entfaltet eine eigene Bedeutungsebene, neben dem Vampir-Ding. In Amerika sind Helium mittlerweile eine feste Größe, und wenn sie demnächst nach Deutschland kommen, sollte man sie nicht verpassen. Schon im Frühjahr ist Mary Timony nur mit elektrischer Gitarrenverstärkung und ohne Band aufgetreten. Es war erstaunlich zu sehen, wie die Songs auch ohne die vielen Beipackmittel, ohne Piano, Xylophone, Keyboards funktionieren.

»Hätte sie, letzte Frage, nicht mal Lust, den Soundtrack für einen Horrorfilm zu schreiben?«

»Vor einem Jahr hätte ich dazu vielleicht noch Lust gehabt. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt will ich keine angsteinflößenden Songs mehr schreiben.«

 

(Kerstin, SPEX, 1995)