Zum Buch Rebel Queens: ein paar Antworten auf Fragen, die man sich stellen könnte

von Kersty und Sandra

Am 15.10. erscheint unser Buch: Rebel Queens. Frauen in der Rockmusik | Reclam Verlag

Wenn Rockmusik bedeutet Raum einzunehmen, was bedeutet es,  dass Frauen sich dieses Genres bemächtigen? Und andererseits: nur weil sie dich hören, bedeutet das nicht, dass sie dir auch zuhören!

Willkommen bei den Rebel Queens.

 

Bezug von Rebel Queens zu unserer eigenen Geschichte

Wir wollten, dass das Buch selbst auch “Rock” ist. Deshalb haben wir auch unsere eigenen musikalischen und aktivistischen Errungenschaften in das Buch einfließen lassen.

Eine Rockmusikerin, die nicht „Ich“ sagen darf, wäre langweilig. Wir sind genauso Musikjournalistinnen wie wir Musikerinnen sind, und wir werden nicht im einen das andere verleugnen. Wir werden nicht verschweigen, dass wir Teil von subkulturellen Bewegungen sind.

Die Passagen in denen wir z.B. darüber berichten, wie es war, mit Le Tigre oder mit Pussy Riot auf der Bühne zu stehen (oder wie Peaches in unserem Freundeskreis entdeckt wurde) machen aber vermutlich nicht mal 5 Prozent des Buchs aus. Wir wollten es halt nicht unerwähnt lassen, letztlich ist diese Art von Musikberichterstattung ja auch eine Abenteuerreise, bei der man viel über das Leben, sich selbst und andere Menschen lernt.

Rebel Queens enthält sogar viel weniger Erlebnisberichte, als man es von identitätspolitischen Schriften gewohnt ist. Es steht aber durchaus in der Tradition des New Journalism, d.h. die  Autor:innen legen Zeugnis ab von ihrem Erleben mit der Musik und ihren Inhalten,  so nach dem Motto: ich hab`s ausprobiert.

Was da ausprobiert wird, geht in Rebel Queens sehr weit: es gibt Geschichten über durchflipperte Nächte mit Cat Power, tiefenpsychologische Selbstversuche mit Amy Winehouse-Songs. Oder Küchengespräche über unsere Songzeilen mit Vorbild Annette Humpe.

Generell ist es ein Buch, das sich nicht nur mit Musik, Popkultur und Zeitgeist, sondern auch mit Psychologie, Mental Health Themen und natürlich feministischen Themen gut auskennt.  Wenn man selbst feministische Demonstrationen organisiert hat, ist der Blickwinkel mitunter ein anderer, als wenn da irgendwann “diese Woken” kamen, die einem das “Frei-Schnauze”- Sprechen “verbieten” wollten. Es ist selbstverständlich ein Unterschied ob man Teil des Problems oder Teil des Change ist, auch wenn man noch oft genug selbst auch Teil des Problems ist.

Die Themen der Riot Grrrl Bewegung (wie z.B. sexualisierte Gewalt, limitierende Schönheitsideale oder auch Männermacht in den Medien) haben wir über einen längeren Zeitraum hinweg in der Öffentlichkeit vertreten und mit-erstritten.

Denn wir haben ja nicht ohne Grund dafür gekämpft, Feminismus wieder mit Glamour zu besetzen. Deshalb sprechen wir im Info zum Buch davon, dass wir unsere eigenen Aktivismen “Glitzerrevue passieren lassen.” Denn zu Beginn dieser dritten,  mittlerweile vierten Welle des Feminismus galt Feminismus auch in popkulturellen Kontexten noch als uncool, und sogar bei den Linken.

 

Was ist daran Rock

Rock ist natürlich darauf angewiesen in leicht dramatischer, ja angeberischer Manier, von eigenen Errungenschaften zu erzählen und das eigene Erleben in den Mittelpunkt zu stellen. Gleichzeitig handelte Rockperformance aber auch immer davon, zu sagen: schau mal, was ich mitgebracht habe, ich war in der Welt da draußen und hab ganz viel gesehen, erlebt und gesprochen.

Es war auch immer eine Präsentation des Anderen im eigenen Selbst. Eine Feier des Fremden im Eigenen. Oder auch des Eigenen im Fremden. All solche Gedanken spielten eine Rolle als wir uns überlegt haben, ein Buch über Rockmusikgeschichte zu schreiben. Da sind wir z.B. auch von Everett Trues fulminantem Buch über Nirvana („The True Story“)  beeinflusst. Er stand mit Nirvana sogar auf der Bühne und hatte genau deshalb die Fähigkeit, den Mythos zu dekonstruieren. Die innovative Musikjournalistin Ellen Willis  war in den 60er Jahren in einer Clique mit Bob Dylan.

Wir denken Rockkritiker:innen mehr wie Korrespondenten;  wie willst du über Australien berichten, wenn du nie dort warst & mit den Leuten in alltäglichen und unalltäglichen Situationen warst? Ganz im Gegensatz zu einem Post-SPEX-Feuilleton, das seine Informationen vor allem am Schreibtisch und weniger in  der Verwicklung mit dem Sujet findet. Oder z.B. noch nie ein Tonstudio von innen gesehen hat. Well…

Unsere analytischen Selbste gehen dabei das Risiko ein, aufs Persönliche reduziert zu werden. Was bei männlichen Autoren gerne mal als genialisch gilt (Begeisterung, Expertentum etc) kann  bei Frauen durchaus als “typisch weiblich” abgewertet werden.  Typisch Frau halt, keine Distanz zu den Themen usw. Also wieder eine dieser Reduktionen von denen unser Buch handelt. Hier trifft sich die Rockmusik-Journalistin mit der Rockmusikerin: wenn sie es macht, wird es einfach irgendwie anders bewertet. Also volles Risiko. No risk no fun.

 

Was ist daran Dekonstruktion

Aber im Großen und Ganzen war es uns das wichtigste Anliegen eine Analyse auch der Rezeption und all der Zuschreibungshöllen dieser weiblichen Vorbilder vorzunehmen. Wie genau also wurden die Rebel Queens kleingemacht und mit welchen Talenten oder Techniken haben sie sich dagegen gewehrt. Wir wollten eine Dekonstruktion des gesamten Pop/Rockstars mitlaufen lassen: der Musik, des Image und auch der Zeit.

Analyse gepaart mit Erlebnis, Close Reading der Musik und Begegnungen.  Diese Bestandteile haben wir selten in rein theoretischem Ton verfasst, sondern versucht, in lebendige Porträts wie nebenbei einfließen zu lassen, mit Sinn fürs ästhetische Detail und die Komik, die in solchen Fällen entsteht. Wir haben das Ganze eher als Komödie gesehen, obwohl man es auch als Tragödie beschreiben könnte. Unserer Meinung nach liest sich das Buch daher auch humorvoll und sarkastisch. Aber lest selbst!

Und fallt nicht zu sehr auf den Optimismus rein;)

Die Rockmusikgeschichte ist die Geschichte von Frauen, die gesilencet werden. Sie wieder als Menschen zu zeigen, war für uns das Faszinierende an diesem Auftrag. Deshalb haben wir es geliebt, Porträts zu schreiben.

Wir beschäftigen uns beide schon unser ganzes Leben mit Rockmusik. Es ist jetzt auch nicht so, dass wir zwangsläufig alle Musikerinnen selbst treffen müssen, um etwas Neues hinzuzufügen. Es ist nun wahrlich genug Material im Umlauf. Es wäre eine sehr traurige Idee von Historizität, wenn man bei allem selbst dabei gewesen sein müsste. New Journalism ist ja keine autoritäre Form von Authentizität.

“Das Puzzle neu zusammensetzen”(Steen Lorenzen, radioeins) kann man auch, wenn man sich in den vielen Leben, um die es hier geht, genau anschaut, mit welchen beschissenen Tricks die Öffentlichkeit arbeitete, um tolle Musikerinnen immer wieder aufs niedrigste Niveau zu reduzieren. (Siehe dazu den paradigmatischen Artikel über Karen Carpenter & Yoko Ono von Kersty, der  just als Vorabdruck in kaput mag erschienen ist:

„Rebel Queens“: Karen Carpenter, Yoko Ono – eine Streitschrift | Kaput Mag

Wie also geht das ? Dauerentwertung von Künstlerinnen, die dauerhaft dagegen halten.

Rebel Queens ist also auch ein Buch über den misogynen Musikjournalismus. Wie wenig, in anderen Worten, sie denjenigen zugehört haben, denen sie noch am meisten zugehört haben.

Den meisten Frauen in der Öffentlichkeit passiert ja folgendes: Sie werden geframt. Es wird versucht, sie zu einem Menschen zu machen, der sie nicht sind. Damit man ihnen nicht mehr zuhört und sie keine Macht mehr haben, um es mal in den Begrifflichkeiten des aktuellen Beststellers von Tara Louise-Wittwer zu sagen (“Nemesis Töchter”). Sie beschreibt die stille Konditionierung von Frauen als das Machtinstrument des Patriarchats.

Beleuchtet den Mythos des guten Benehmens. Mitunter das Gegenteil von Rock`n Roll.

Uns tuts natürlich leid, wenn wir mit diesem Buch am Ende vielleicht sogar das Ego ehemaliger Heavy Metal-Gitarristen verletzen, die sich in den Musikjournalismus gerettet haben; und für die Rockmusik immer eher „The Boys Are Back in Town“ war, als „Rebel Girl, You Are The Queen of My World.“ Bzw. es tut uns eben genau nicht leid: Wir haben etwas Wichtigeres vor als uns zu dafür zu entschuldigen,  dass wir auch selber Rockgitarre spielen und Songs komponieren können und damit auch aktuelle Erfolge feiern:  das 21. Jahrhundert menschlicher gestalten als das 20. Jahrhundert z.B.

Es ist gerade nicht die Zeit für verletzte Männeregos und schon gar nicht, wenn man ihnen nichts getan hat, außer sich selbst zu sein.

Einige werden auch erstmal aushalten müssen, dass eine feministische Rockmusikgeschichtsschreibung auf ihre Weise heute dynamischer und universeller sein kann (auch in Bezug auf männliche Rockmusik), als der ganze phallokratische Rockism, der vom hiesigen Feuilleton seit jeher und bis vor kurzem, also bis vor ein paar Jahren, als einzig relevante Welt-Wahrheit verhandelt wurde.  Rebel Queens handelt viel vom angelsächsischen Raum, aber es werden auch Musikerinnen aus Deutschland  porträtiert.  Ebenso auch der männliche Blick. Der zeichnet oft lieber ein idealisiertes Bild der Frau, anstatt sich einfach mal die Realität  von Frauen und non-binären Menschen anzuschauen und – vor allem – bei der Musik wirklich zuzuhören.

Für dieses Buch haben wir auch hiesige Acts neu entdeckt (z.B. Faulenza oder Jolly Goods). Haben uns auch mal angeschaut, was hierzulande eigentlich so los war. Hat es nicht nur Janis Joplin, sondern auch Nina Hagen geschadet, ihre Band zu entlassen? Und warum versteht man trotzdem so gut, dass sie es getan hat?

Es ist ja noch neu, dass die Trap-Girls der Gegenwart, wie Elif und Nina Chuba, die Hits auf den Schulhöfen erfinden und mit selbst-komponierter female Rage viral gehen. Und dabei vermutlich mehr Respekt ernten als ihre gleichgesinnten Schwestern aus anderen Generationen.

Oder etwa nicht? Auch bei Nina Chuba wird derzeit weniger über ihre Skills und ihre Features  mit anderen Rapperinnen  gesprochen, als über ihr Nervenkostüm. The never-ending Story?; die Pathologisierung der Frau? Deshalb vielleicht einfach mal die Tracks hören und mit guter Laune dagegenhalten.  Und dann wiederum ist es im Großen und Ganzen aber auch schwierig, ein Buch mit so vielen Facetten und spannenden Leben auf Dekonstruktion von Mythen runterzubrechen. Das  ist dann auch wieder nur ein Aspekt.

Es bleibt also rebellisch.

 

Beitragsfoto (Kersty Grether, Sandra Grether):  Lucia Jost