We will miss you: Francoise Cactus (1964 – 2021)

Zum Tod von Francoise Cactus

von Kersty und Sandra

Es fällt uns wirklich sehr schwer, diese Überschrift einzugeben, und hinter ihren Namen ein Todesdatum. So geht es heute wahrscheinlich vielen.  Seitdem um ca halb vier am Nachmittag bei Radio Eins der Tod von FRANCOISE CACTUS gemeldet wurde, sind wir bestürzt, geschockt und werden immer trauriger.

Der fiese Serienkiller namens Brustkrebs hat wieder zugeschlagen und hat diese liebe fröhliche geniale bunte und lebenskluge tollste Musikerin on Earth getötet. Ja, okay, das ist jetzt vielleicht nicht der richtige Anfangssatz, aber es gibt ja eh keine richtigen Anfangssätze, wenn es um das Sterben und den Tod geht.

Und da muss man doch gleich mal sagen:  Es gibt auch kein Video von STEREO TOTAL was dazu passt. Bei aller Tiefgründigkeit!  Und das wiederum sagt schon alles über diese Modernste aller Bands aus. STEREO TOTAL Lieder können von Zumutungen  handeln (  Songs wie “Die Frau in der Musik” oder  “Zu schön für dich”  ) und dabei noch vor Optimismus, Wärme und Zuversicht strahlen. Sie werden dich aber ganz bestimmt nicht depressiv machen.

Oder wie der Sänger und Autor ROCKO SCHAMONI  mal in den 1990ern vorm Pudels sitzend sagte, als wir darüber sprachen, dass wir jetzt alle unsere Romane schreiben wollen (FRANCOISE CACTUS hatte damals schon, innovativ wie sie von Anfang an und bis zuletzt war; einen aufregenden Roman über das  (ihr) “Leben einer Provinzblume” geschrieben,  ihre “Autobigophonie” nach dem Vorbild der moral-provozierenden, bezaubernden, französischen Schriftstellerin Colette.  Rocko also sagte sinngemäß: “Francoise Cactus ist irgendwie einer der ganz wenigen freien Menschen, die ich kenne. Sie hat das nicht was wir alle haben, diese dummen Ideologien der Besserwisser, die doch nur Konstrukte sind, an denen man sich ja nur festhält.”

Ich hab noch oft an diesen Satz gedacht, beim Schreiben. Aber gerade weil sie nicht zu starrer Ideologiebildung neigte,  hat sie doch das beste Lied über “Die Frau in der Musik” geschrieben. Und das konnten wir also von ihr lernen: Wie man mit Witz die Wahrheit sagt. Ohne Umschweife. Aber auch ohne etwas zu beschönigen.

Ihr Blick war stets so gnadenlos wie freundlich. Ihr Pop verharmloste nicht die Verhältnisse, er setzte nur woanders an,  da wo der Ozean wirklich ozeanblau war und Liebe und Schmutz nie schmutzig, und das “Hello Kitty”- Püppchen das Wort “Trash” nebensächlich erscheinen ließ. Diese großartigen leichtfüßigen Lieder ihrer Band STEREO TOTAL, die sie gemeinsam  mit ihrem Lebenspartner BREZEL GÖRING machte, überstrahlten die scheppernden Adjektive, die deutschen Musikkritikern dazu einfielen. Sie selbst sagten über ihre Musik: “wir vergreifen uns an 1000 Stilen und machen irgendeinen Scheiß damit.” Ob Easy Listening, Swing Big Band, Elektronik oder Indie-Rock.

Für STEREO TOTAL machte es keinen Unterschied, ob sie auf einer Fender oder auf einem Kinderinstrument spielten, dabei waren sie näher an VELVET UNDERGROUND dran als viele andere.  Aber auch das brachte sie nicht dauerhaft aus der Fassung.  Und eines Tages wird vielleicht der Duden das Wort “charmant” als “anderes Wort  für FRANCOISE CACTUS” deklarieren. Hier stimmte ausnahmsweise mal das Klischee von der “charmanten Französin.”   Kein Wunder also, dass die große CACTUS Fan war von der düsteren deutschen NICO, die sich auch mit einem Akzent und einem Klischee durch die Musikgeschichte schlug.  Über die sie in der aktuellen Anthologie “These Girls” einen sehr schönen, sehr klugen  Text geschrieben hat.  Aus dem sie las, vor ziemlich genau einem Jahr, bei der Premierenlesung zum Buch im Berliner Pfefferberg. Und da hätte man, im Theatersaal sitzend, schwören können, dass es der CACTUS  gut geht. Sie beklagte nur einen Schnupfen.  Oder um es mit GERRIT BARTELS zu sagen, der heute im “tagesspiegel” schreibt: “Dabei meint man, sie doch erst vor kurzem noch ganz fidel und aufgekratzt, wie es zumeist ihre Art war, beim Berliner Sender „radioeins“ gehört zu haben, wo sie einmal im Monat eine Sendung hatte und am kommenden Dienstag wieder zu hören gewesen wäre.”

Dass der Tod auch die Fröhlichen treffen kann, ist auch wie so eine Wahrheit aus einem STEREO TOTAL Song. Wobei die Fröhlichkeit ihrer Musik natürlich auf einem Sarkasmus beruhte, der einzigartig ist  in dieser Kombination  – und den keine*r missen will. Auf diese Weise konnte das Duo sagen was es wollte. Und STEREO TOTAL waren damit, und wahrscheinlich auch mit ihrer ganzen coolen Attitude, tatsächlich auch Big in Japan (und ein bisschen auch in den Staaten). Sie kehrten immer wieder zurück nach Berlin. Was Berlin nicht wirklich verdient hat. Aber wer, wenn nicht Berlin.

FRANCOISE CACTUS  – Sängerin, Songschreiberin und Drummerin bei STEREO TOTAL – war auch immer sehr solidarisch mit anderen Musikerinnen. Zum Beispiel in den blöden Achtzigern wollte sie schon nicht “die einzige Frau in der Band” sein, und machte mit LOLITAS eine gemischte Rock`n Roll Band auf. Denn auch von Begehren verstand die Frau CACTUS viel.  Und lange lange bevor das Wort “empowern” zum Modewort wurde, schrieb sie zwei kleinen Mädchen in der pummeligen Provinz einen Leserbrief: “Euer Fanzine, es ist das Aufregendste im ganzen Land. Ich schwöre.” Die Mädchen tanzten im Kreis vor Freude. Eine von den “Echten” hatte ihnen geschrieben, sie sollen so weitermachen! Und dann die Charmanz dieses nachgestellten “Ich schwöre.” !  Einfach so. Ohne Hintergedanke. Ohne das obligatorische “Bitte schreib über mich.”  Ihr Brief stachelte uns an, weiterzumachen.  Solche kleinen Zeichen setzte sie, ganz ohne Ideologie, wenn da mal Mädchen in der Szene auftauchten! Sie verkörperte schon damals für uns das an einer Metropole, was liebenswert erschien.  Obwohl sie doch auch aus einem (ca.)  1000-Einwohner-Dorf kam.

Ohne FRANCOISE CACTUS wäre die deutsche Musik-Szene um so vieles öder, trauriger, humorloser -und un-bunter. Sie haben schon so etwas erschaffen, was man einen “Sound of Berlin” nennen könnte – und das Beste: keine*r kann so genau sagen, aus welchen Zutaten der besteht. Sie haben die Nichtkategorisierbarkeit von Berlin verkörpert. Und auch die Frage offen gelassen, ob das nun genial war oder dilettantisch. Oder beides. Oder nichts von beidem. Egal halt. Hauptsache, das Rezept hätte auch auf dem Mond funktioniert.  Dass FRANCOISE CACTUS es –  wenn es darum geht, einfach so einen kleinen großen Chanson rauszuhauen, anzuzetteln, durchzuführen –  mit dem Kompositionstalent ihrer berühmten Namensvetterin  FRANCOISE HARDY locker aufnehmen konnte,  darf man bei alledem aber natürlich auch nicht vergessen –  und kann man ja in Zukunft noch lernen!

Deshalb beenden wir das jetzt mit einem kleinen Gedicht:

Sie war eine Genie / Aber mehr noch /  Sie war sie.

FRANCOISE CACTUS starb heute im Alter von 57 Jahren in Berlin.