Courtney Love will nicht mehr länger der amerikanische Albtraum sein

Herzchen mit Reisszahn

 

Auch extrem unberechenbare Star-Persönlichkeiten entwickeln im Laufe der Jahre ihre verläßlichen Muster. So würde sich Rockdiva Courtney Love wohl lieber die Zunge abbeißen, und sich unter dem Namen »Frances Farmer« in eine Nervenheilanstalt in Seattle einliefern lassen, als ein schlechtes oder auch nur mittelmäßiges Album abzuliefern. In punkto »musikalische Qualität«, das müssen selbst ihre Feinde zugeben, läßt sich die Cobain-Witwe nun mal nicht lumpen. Natürlich nicht, ohne im Vorfeld alle Welt völlig im Unklaren darüber zu lassen, ob es überhaupt etwas wird mit dem neuen Werk.

»Uns liegt noch kein Material vor«, ließ die Plattenfirma bis kurz vor Veröffentlichung verlauten. Und nun bestätigt das manisch ausgetüftelte Solowerk ›America’s Sweetheart‹ diese Regel aufs neue. Die tragische Grunge-Queen beweist mal wieder künstlerische Reife – und möchte, daß auch ihre Gegner durch den Reifen springen.

Mit den Kollegen-Beleidigungen der einstigen Hole-Sängerin, die ihre Zunge ganz und gar nicht im Zaum halten kann, könnte man ganze Wörterbücher füllen. Die neueste Tirade der Witwe Kurt Cobains: »Eminem gehört verboten, ich will nicht, daß meine Tochter diesen frauenfeindlichen Schrott im Radio hört.«

Aber auch aus den Gemeinheiten ihrer Kritiker ließen sich neue Nachschlagwerke für das alte Mittelalter erstellen. Trauriger Höhepunkt der Attacken war sicherlich Nick Bloomfields Film ›Kurt & Courtney‹, der sich als gewissenhafte Dokumentation verkaufte, und mit abenteuerlichen Zeugenberichten zu beweisen versuchte, daß die Hole-Sängerin und Schauspielerin ihren Ehemann habe umbringen lassen. Noch heute kursieren im Internet Gerüchte über den angezweifelten Selbstmord des Nirvana-Sängers, und im April erscheint bei Ullstein ein Buch mit dem Titel ›Mordfall Kurt Cobain‹, in dem auch die »skandalträchtige Witwe« eine bedeutende Rolle spielt.

 

Love & Hate

 

Das braucht Courtney Love nicht unbedingt persönlich zu nehmen. Denn in ihrer Mythologie hat die Rockmusik schon immer zu beweisen versucht, daß hinter jedem guten Mann eine böse Frau steht. Was man ja auch verstehen kann. Denn Rock ist nun mal die Musik, die männliche Jugendliche, egal ob echte oder eingebildete, zu Rebellionszwecken hören, während im Hintergrund eine Mutter oder Ehefrau darauf lauert, daß sie ihre Hausarbeiten erledigen. Was bei Tage betrachtet harmlos ist, kippt bei der Skandalnudel Love schnell ins Alptraumhafte. Denn kaum einer hört ihr richtig zu, wenn sie ihre Hausaufgaben erledigt hat, auch wenn die jüngere, die R ’n’ B-Generation, sie schon besser leiden mag. Aber nicht nur als Mensch, auch als Musikerin und Verwandlungskünstlerin ist Love verdammt ernst zu nehmen!

Schon 1998 haben Hole mit ›Celebrity Skin‹ ein visionäres Rock-Album aufgenommen, von dem auch eine Madonna noch fünf Jahre später nur träumen konnte. Der post-optimistische Songwriter-Pop des letzten Madonna-Longplayers ›American Life‹ mit all seinen sarkastischen Seitenhieben auf die Schönheitsfarm Hollywood klang wie eine zahnlos-verspätete Antwort auf Holes eigensinniges Hollywood-Poem. Kein Wunder, wenn man wie die Queen of Pop als einziges Schönheitsfehlerchen eine Zahnlücke vorzuweisen hat.

Aber wer auch immer den ersten Stein geworfen hat – das streitbare Riot Girl Courtney hat sich nun ebenfalls »America« in den Albumtitel geholt. Daß die Anti-Heldin sich als »America’s Sweetheart« bezeichnet, kommt ebenso süß und überraschend daher wie Madonnas Absage an den amerikanischen Way of Life. Und ist wahrscheinlich genauso berechtigt. Beide brechen damit aus der Dichotomie aus und weigern sich symbolisch, weiter den amerikanischen Traum bzw. Albtraum zu verkörpern. Was nichts daran ändert, daß Frau Love gerade mal wieder zwei Prozesse wegen Drogenmißbrauchs durchläuft und um das Sorgerecht für ihre Tochter kämpfen muß.

Aber nicht nur bei Madonna, auch beim verhaßten Eminem scheint sich »America’s Sweetheart« einige strategische Kunstgriffe abgeluchst zu haben. Der Rapstar spielt in seinen Songs gerne mal den frauenmetzelnden Psychopathen und hat natürlich trotzdem das Sorgerecht für seine Tochter bekommen. Denn das ist die Freiheit der Kunst. Loves Hasstiraden auf den King of Rap, der im heutigen neoliberalen Amerika eine ähnliche Vorbild-Funktion hat wie Nirvana-Sänger Kurt Cobain Anfang der 90er Jahre, speisen sich aus dem Wunsch nach Gleichheit.

»It’s not Eminem who’s gonna save me«, singt sie, und fleht sogar Gott an – er möge ihr helfen Songs zu schreiben, die besser sind als die des Rap-Giganten. Gemeinsam ist ihr und Em, daß auch er mal als öffentliches Ärgernis angefangen hat. Man hört ›America’s Sweetheart‹ tatsächlich den Wunsch an, von der männlichen Rock-Community ebenso an die Brust genommen und begehrt zu werden, wie der weiße Rapper Eminem von der schwarzen Rap-Community und dem ganzen Rest. Immerhin hat Courtney – zusammen mit Pink-Produzentin Linda Perry – zu diesem Zweck die Rockmusik neu erfunden. Und mehr kann man als Außenseiter eines Genres ja auch nicht tun.

 

Courtneys neue Lieder

 

Courtneys neue Lieder bestehen aus lauter Pop-Zitaten, aus einem souverän-vernetzten, von eigenem Leben durchdrungenen Referenz-System. Womit wir endlich beim schönsten Aspekt der Akte Love wären: bei diesen atemberaubenden, überbordenden, leidenschaftlichen, meisterhaften neuen Stücken. Da wäre beispielsweise das mädchenhaft-geschmetterte ›But Julian, I’m A Little Bit Older Than You‹, das sich liebevoll an den Sänger der Strokes richtet. Während Eminem das Böse verkörpert in Courtneys diesjährigem Universum, stehen die Gitarren-Erneuerer Strokes nämlich für das Gute. Und man hört trotzdem, daß die Komponistin schon zwei Dekaden länger dem Rock ’n’ Roll verfallen ist: wenn sie etwa virtuos alte Punk-Rock-Heroes zitiert, und dabei frischer und entfesselter ist als die Strokes selbst auf ihrer letzten enttäuschenden Platte. Manchmal sind Erwachsene eben jünger als Jugendliche – weil sie wissen, was sie tun und wie man überlebt. Und davon handeln diese Songs: vom Überleben, von Kunstproduktion, Tod, und dem ganzen Rest an Leben. Eine wirklich reife Leistung, denn die Rock ’n’ Roll- Zitate, die vielen verwendeten »C’mons«, »Babys« und »Shut Ups«kommen immer zu gleichen Anteilen authentisch und augenzwinkernd rüber. Und das ist eine Re-Interpretation von Rock, die wirklich Spaß macht und berührt. Wenn die Süße etwa sehnsüchtig grollt: »Life is never fair. The angels that you need are never there«. Dann freut man sich, daß die schöne Blondine vorsichtshalber selber daran festhält, ein Engel zu sein – auf dem Cover sieht man sie mit gefiederten Flügeln –, wenn sie schon zu gut dafür ist, ein Eminem zu sein.

 

(Kerstin, Frankfurter Rundschau, 2003)