10 Fragen an … Lena Stöhrfaktor

“Leuten Kraft geben, denen Ähnliches passiert ist!”

Sie ist die Seeräuber-Jenny unserer Zeit. Seit 2004 macht die Underground-Größe aus Berlin genau die Art von Hip Hop, die auch Riot Girls* und Boyz* anspricht. Ihre rotzigen Texte werden aus dem realen Leben gegriffen und in feinster Art und Weise auf Beats gelegt. “Doch der Untergrund ist da, wo die Mehrheit nicht regiert, wo die Bühne keine Stufe zwischen uns repräsentiert,“ verkündet sie in „Flunkyballs“ der ersten Singleauskopplung aus ihrem neuen Album „Blei“, das dieser Tage auf Rauhfaser Records erscheint. Zuletzt war LENA STÖHRFAKTOR mit ihrem Song „Seeräuber Lena/Brückenmassaker“ am Start: unser liebster Deutsch-Rap-Track zum Thema sexualisierte Gewalt. Auf ihrer Webseite hat sie gepostet, dass alle Rap-Medien (außer Rap.de) ihr neues Album ignorieren. Wir finden das skandalös!

Wir sind glücklich darüber, dass so ein schönes Interview entstanden ist und sie unsere E-Mail-Fragen so ausführlich und toll beantwortet hat. Und natürlich freuen wir uns riesig auf ihren Auftritt bei unserem Mini-Festival “Ich brauche eine Genie – Popkultur, Feminismus, Abenteuer und so” Vol 4 am 16.6. in der Kantine am Berghain!

1. In deinen Tracks bringst du immer wieder zum Ausdruck, dass Rappen dich rettet und immer schon gerettet hat; vor den „Zwängen“ der Gesellschaft, zum Beispiel. Deine Texte richten sich auch gegen autoritäre Strukturen und Verhaltensweisen. Was hat dich als Heranwachsende, als du HipHop für dich entdeckt hat, akut am meisten genervt – und was nervt dich heute am meisten?

Mich hat am meisten genervt, dass ich von anderen ständig bewertet und beurteilt wurde, meistens negativ, da meine Leistungen in der Schule und im Beruf nicht so gut waren und ich auch äußerlich und von meinem Verhalten her nicht in die Schubladen gepasst habe, in die wir so reingepackt werden. Ständig wollten Leute, dass ich mich ändere und gaben mir das Gefühl nicht richtig zu sein so wie ich bin. Da hat sich bei mir dann eine Abwehrhaltung aufgebaut, erstmal nur Erwachsenen gegenüber, mittlerweile hat sich das gewandelt. Diese Abwehrhaltung richtet sich nun gegen alle die mir sagen möchten, wie ich zu sein habe und die mich nicht ernst nehmen. Ich habe mich nie auf Leistungswettkämpfe oder Angebereien eingelassen, weil mir das immer zu blöd war, da aber unsere Gesellschaft so funktioniert, wurde mir das oft als Schwäche ausgelegt. Früher habe ich dann oft die Situationen gemieden und eine Scheiß drauf Haltung gehabt, erst durchs Rappen fing ich an dieses Denken hart verbal zu konfrontieren.

2. Denkst du, dass der Kapitalismus überwunden werden sollte? Wie stehst du zu der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens?

Definitiv sollte der Kapitalismus überwunden werden. Ich sehe die Dinge aber auch realistisch und da ist erst mal kein Ende in Sicht. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte eine Möglichkeit sein, zumindest auf einer Ebene etwas zu verändern. Es würde zwar nicht die Macht der Konzerne brechen und Ausbeutung verhindern, zumal es regional begrenzt ist, aber es könnte durchaus neue Möglichkeiten schaffen und teilweise ein Umdenken veranlassen. Die Umsetzung wäre natürlich auch interessant, ich kann mir schwer vorstellen, dass so was im Kapitalismus einfach so durchgeht. Sobald Unternehmen Schaden nehmen, würde von wirtschaftlicher Seite wieder Druck auf die Politik ausgeübt werden und es gäbe Einschränkungen. Das erwarte ich von einem System wie diesem. Finde es trotzdem interessant als Experiment.

3. Bist du auch innerhalb der Hip Hop-Szene ein „Stöhrfaktor“, weil du z.B. sexistische oder kapitalistische Klischees zurückspielst und zersmasht? Oder ist die Szene so divers, dass es gar nicht mehr als störend empfunden wird?

Die Szene ist 0 divers, es gibt ein paar wenige Frauen, die sichtbar sind und in Teilen Anerkennung finden, aber das auch meistens nur wenn sie ein Stück weit das Klischee erfüllen. Sie müssen einigermaßen sexy sein, am Schönheitsideal gemessen. Transmenschen sind gar nicht sichtbar. Es ist katastrophal, aber das Problem betrifft die komplette Musikindustrie und liegt am Patriarchat. Wenn eine Frau so ist wie ich und sich dann auch noch wehrt ist sie definitiv vielen ein Dorn im Auge. Es gibt aber auch einige Leute die wissen worum es bei Rap geht und zwar um Beats, Lyrics und ehrlich aus dem Leben zu erzählen. Die geben dann umso mehr Anerkennung, weil ihnen die hoffnungslose Lage im deutschen Rap bewusst ist.

4. Auf deiner Webseite hast du gepostet, dass alle Rap-Medien dein neues Album ignorieren, außer „Rap.de“. Wir finden das skandalös! Du hättest den Kids auf den Schulhöfen ja auch etwas mitzuteilen und es wäre wichtig, dass sie erfahren, dass es dich und deine Musik gibt – und natürlich auch der Rest der Musikwelt! Die Rap-Medien kommen damit ihrer Informationspflicht null nach. Konntest du in Erfahrung bringen, mit welchen Argumenten sie eine wichtige Rapperin wie dich ausgrenzen?

Ich gebe euch hundertprozentig recht. Es ist wirklich skandalös und sie kommen ihrer Informationspflicht wirklich nicht nach. Der Grund ist ganz einfach, dass ich weder ein im HiphopBereich namhaftes Label, noch Connections in den rapjournalistischen Bereich habe. Das auch ganz bewusst, dieser Bereich der Szene ist mir ziemlich unangenehm, es wimmelt dort von Hampelmännern und Wichtigtuern. Ich möchte, dass sie über mich berichten, aber ich möchte nicht bei ihnen schleimen. Diese Menschen möchten aber, dass man bei ihnen schleimt. Ein sehr wichtiger Punkt ist auch, dass man wenn man nicht kommerziell erfolgreich ist, man für die Rapmedien als irrelevant gilt. Da ist es dann egal wie vielen Leuten die Musik etwas bedeutet, DIY wird als schlecht angesehen, die Leute können sich nicht vorstellen, dass man freiwillig DIY arbeitet. Es gibt da nicht dieses politische Bewusstsein oder den Anspruch Diversität widerzuspiegeln, die Rapmedien sind durch und durch kommerzialisiert. Ich muss aber auch sagen, dass das mit anderen Medien die eine hohe Reputation haben, genauso ist. Auch größere feministische Magazine berichten nicht über mich und ich könnte mir vorstellen, dass das an meiner antikapitalistischen Haltung liegt, die ist da auch nicht so gefragt, und an der Schwere der Musik, Aussehen etc. Nicht trendy, hip und sexy genug.

5. Die Rap-Medien haben sich angewöhnt, bei HipHop,der ihnen politisch zu links ist – oder z.B. von Leuten kommt, denen sie nicht so gerne zuhören möchten, wie z.B. empowernden weiblichen* Rappern, „Skills -Shaming“ zu betreiben. Also anstatt zuzugeben, dass ihr eigenes Menschenbild oft gar nicht so offen und tolerant ist, wie sie behaupten, sagen sie viel zu häufig, dass diese „Anderen“ halt nicht so gut rappen… Oder, wie in deinem Fall, ein Videokommentar, dass du nicht doubletime rappst. Passiert dir das öfters? Ist das nicht nur ein ziemlich fieser Trick, um Rapperinnen, die sich weder den kommerziellen noch den sexistischen Zwängen des Genres beugen, die Relevanz wieder abzusprechen? Das passiert ja auch in allen anderen musikalischen Genres, wenn z.B. behauptet wird, dass Gitarristinnen nicht so gut spielen können wie Gitarristen.

Das finde ich auch gut beobachtet. Mir fällt auf, dass wenn Männer offbeat rappen es als Stilmittel gelten kann, als etwas Besonderes etc. Wenn eine Frau offbeat rappt liegt das dann daran, das sie eine Frau ist, angeblich den Takt nicht halten kann und schon ist alles scheiße was sie macht. Sie suchen extra nach etwas um die Frau zu degradieren. Das Ding ist, dass die Skillz von vielen Rappern meiner Meinung nach sehr einfach sind und das aber gar keine Rolle spielt,sondern Dinge wie Image, Atittüde etc.. Bei Frauen wird da viel mehr auf den Flow geachtet. Es stimmt schon ein bisschen, dass manchmal im politischen Rap der Inhalt vor der Form steht und es musikalisch nicht so gut klingt, das liegt aber auch daran, dass viele der politischen Rapperinnen und Rapper nicht aus dem Hiphop kommen und das Genre für sie eher neu ist bzw. die Einflüsse nicht im originalen Hiphop liegen und das linke Publikum teilweise nicht so hohe Ansprüche hat, musikalisch. Das finde ich auch ein bisschen schade. Ich denke Inhalt und Form sind beides wichtig. Und zum Thema Doubletime, wenn man was wichtiges aussagen möchte, passt doubletime meistens nicht so gut, meiner Meinung nach. Zu viele Zweckreime, oft issses einfach nur Geflexe.

6. Für dich müsste man eigentlich den roten Teppich ausrollen, auch wenn du das vermutlich ablehnen würdest 🙂 Aber du machst das alles schon seit 2004, bist also in der Zeitrechnung des Deutschrap eine Legende. Auch schon vor Springstoff, Sookee und so weiter. Fühlst du dich als Vorreiterin? Oder denkst du, dass das was du machst, eben doch ganz anders ist als der Ansatz vieler Springstoff-Rapperinnen; weil du ja, wie du selber sinngemäß gesagt hat, gar keinen Bock hast auf deren „konstruktiven, pädagogischen Ansätze“, die darauf zielen, jeden Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, wie du sinngemäß in dem Interview mit „rap,de“ gesagt hast?

Danke, mit dieser Vorreiterin Sache isses so, dass ich ja schon so lange am Start bin, aber eher im Untergrund und das dann nich so viele mitkriegen. Unter anderem deswegen haben wir auch den „Mama“ Track gemacht um ein bisschen aufzuzeigen wie lange und nervenaufreibend meine musikalische Laufbahn schon ist . Dass ich immer dranbleibe, egal was von außen passiert und den Shit durchziehe mit meinen Leuten. Ich sehe mich als Vorreiterin auf dem Weg, den ich gehe, da ich einen sehr schwierigen, eigenen Weg gehe und es wenige Leute in diesem Rapding gibt, die das genauso machen. Also dieses nicht anbiedernde, unabhängige. Ich lege viel Wert auf das zwischenmenschliche und das vermisse ich oft bei Künstlern. Ich kriege da auch ein super Feedback von den Leuten, die das checken, dass mir das wichtig ist, sowie die politische Haltung. Viele fangen heute an zu rappen und suchen sich morgen schon Label, Bookingagentur etc. netzwerken bis sie erfolgreich sind und das meinte ich mit dem Unterschied zu uns und Springstoff. Es ging mir nicht darum, dass sie versuchen die Leute in die Gesellschaft zu integrieren, sondern dass es nur um Diversity geht und darum in der Musikindustrie Fuß zu fassen. Ich weiß, dass man eventuell Kompromisse machen muss um von der Musik zu leben, aber wenn die Kritik sich auf die fehlende Diversität beschränkt reicht das für mich nicht, da Kapitalismus und Patriarchat Hand in Hand gehen.

7. Dein Song „Brückenmassaker“ und das dazugehörige Video ist sehr empowernd und gleichzeitig berührend. War es schwer für dich, dich durchzuringen diesen Track zu machen? Oder warst du so wütend, dass es für dich auf der Hand lag, das alles authentisch zu thematisieren? Du sagst ja, es beruht auf autobiographischen Gewalterfahrungen.

Es war gar nicht schwer, ich wollte das unbedingt machen, damit diese Sache nicht umsonst geschehen ist. Wenn mir scheiße passiert, habe ich den großen Drang und fast schon Zwang für mich etwas Positives rauszuziehen. Ich kann es nicht akzeptieren angegriffen zu werden und dann nicht das letzte Wort zu haben. Als ich den Song gemacht habe, habe ich mir vorgestellt wie das Leben derer, die mich damals geschlagen haben, bergab geht durch ihre verkackte Persönlichkeit und ich aber durch den Song Bestätigung erfahre. Das befriedigt mich. Ich bin leicht rachsüchtig. Ich wollte auch zeigen, dass das kein Einzelfall ist und auf sexistische Gewalt hinweisen, Leuten Kraft geben, denen ähnliches passiert ist. Außerdem liebe ich das Lied Seeräuber Jenny auf dem mein Lied basiert. Es trifft genau meine Rachegefühle, und Tapete, der den Beat gemacht hat und Peter Kolski, der das Video gemacht hat , waren auch sofort dabei. Ich habe bei dem Lied generell viel Unterstützung erfahren. Das gibt Genugtuung.

8. Wie entsteht ein Track von dir? Kannst du generell etwas zur Herangehensweise an deine Stücke sagen? Warum heißt das neue Album „Blei“?

Ein Track entsteht meistens so, dass ich eine Idee oder ein Thema habe, einen Beat picke der dazu passt und ich einfach drauflosschreibe. Bei „Blei“ war es so, dass ASI-ES ,der das Album produziert hat , und ich uns zusammen überlegt haben, welches Thema auf welchen Beat passen könnte. Er hat den Beat dann vorproduziert, ich habe einen Text geschrieben, dann haben wir aufgenommen und er hat dann alles arrangiert, gemixed etc. Das Album heißt Blei, weil es einerseits die Schwere und andererseits den Angriff darstellen soll.

9. Wann hattest du zum ersten Mal das Gefühl, ein Stück geschrieben zu haben, von dem du dachtest, “besser gehts nicht? Und welches Stück war das?

Das letzte Mal war das der „Mama“ Track vom neuen Album. Davor war es „Seeräuber Lena“.

10. Hast du Lieblingsorte in Berlin? Gibt es z.B. irgendeinen Ort, wo dir der Sonnenaufgang oder Untergang besonders gut gefällt?

Meine Lieblingsorte in Berlin sind der Botanische Volkspark Pankow, der Schlachtensee und manchmal auch der Landwehrkanal.