Das Jahrzehnt der rebellischen Frauen. Oder: Lass uns Märchenwesen sein! #Meetoo

von Kerstin

09. April

 

Schon geil, wenn der Frühling einfach übersprungen wird und gleich in den Sommer übergeht. Trotzdem hab ich mir, wohl aus Angst vor einer neuen Kaltfront, erst mal eine neue Jeans gekauft, wenn auch eine kurze, man soll sich langsam an den Sommer und die Sommerkleider heranwagen. Ich werd mir das Schauspiel des schönen Wetters trotzdem noch ein paar Tage anschauen, bis ich richtig mitmisch.

 

 PUSSY RIOT

 

Ich buch das Hotel für jemanden aus Russland, nicht für mich.“

Hm. Kann man Maria Alechina in ein Hotelzimmer buchen, das ein bisschen laut ist, straßenlärmlaut?

Lieber nicht. Soll sie wegen 20 Euro Aufpreis zwei schlaflose Tage bzw. Nächte haben? Ich selber bin mal aus einer Wohnung nach einem Tag wieder ausgezogen, weil ich den Straßenlärm keine weitere Sekunde länger ertragen konnte.

Schönen Tag, ich hab grad schon mal angerufen, könnten sie mich bitte mit der Reservierungsabteilung verbinden? Ich nehm jetzt doch das Zimmer zum Hof raus.“

Wie heißt die denn?

Mascha Alechina. Entweder Maria oder Mascha, ich weiß grad nicht, was der Künstlername ist und was der richtige. Ja, genau, Bohemian Strawberry Records. Soll ich`s buchstabieren: B o h e m i a n, und dann Strawberry, wie die Erdbeere auf Englisch.

Hallo, sind sie noch dran? Ja, okay, genau.“

 

FEMEN

 

Gestern hab ich schon wieder mit einem Typen geredet, der Pussy Riot mit FEMEN verwechselt hat.

Ah, Pussy Riot, diese topless girls“ Für mich fühlt sich`s immer so an, als würde man den Unterschied zwischen den Beatles und den Stones nicht kennen ( circa ´68). Und apropos Beatles, zum Thema welchen Unterschied es macht: „The ukrainian girls they knock you out, the russian girls make u scream and shout!“ (aus Back in the USSR)

Kunst darf Übertreibung, Überspitzung, Kunst darf sich weiterentwickeln. Politik ist immer gleich ernst, Politik muss die kleinsten Unstimmigkeiten mitdenken, Politik muss vor allem: stimmen, en detail. Die inhaltlichen Postionen und Positiönchen müssen wohlproportioniert eingetütet, abgewogen, auf Fakten basierend, mit lokalen Gruppen abgesprochen, in die Welt gesetzt werden.Wer immer den alleräußersten Reiz will hat aber auf Dauer weniger Fans, weniger Sympathisanten, weniger von allem. Auch weniger von der Wahrheit. Man muss die Wahrheit retten, die paar Momente, wo das richtige Argument sowohl in der allernähesten Nähe als auch im Mainstream halbwegs vernünftig – und das heißt „richtig“ – angekommen ist. So ein Punk-Moment ist nicht zu unterschätzen.

 

SLUTWALK, ONE BILLION RISING, #METOO und SONNTAGSABENDTALKSHOWS

 

Gestern die Anne Will Show vom 12.11. zum Thema #Metoo auf der Mediathek geschaut; die einzige Talkshow, die ich je gesehen hab, wo keine*r der Beteiligten auch nur einen falschen, dummen oder richtig schlimmen Satz gesagt hat.

Trotzdem ist es krass wie jede Idee von feministischer Szene in den Sonntagstalkshows komplett ausgeblendet wird. Als ob ein Artikel im STERN je eine Bewegung ausgelöst hätte… wie sie immer nur den „Aufschrei“ als deutsche Vorläufer von #Metoo feiern … und Laura Himmelreichs „Herrenwitz“-Artikel aus dem STERN.

Gefühlt 80% aller Artikel zum Thema Sexismus, sexualisierte Gewalt, feministischer Protest o.ä. wurden in den letzten sieben, acht Jahren mit Bildern von den SlutWalks oder von den Femen oder von Pussy Riot aufgemacht. Nicht zu vergessen auch One Billion Rising, jedes Jahr wieder neu. Und Hunderte von Initiativen, die alle Rape Culture erklären, fühlen, bekämpfen können. An Unis, an Schulen, in linken Cafés, Clubs, in politischen Zusammenhängen. Durch die gewöhnlich gut informierten Blogs im Netz und die Bücher von Feministinnen haben die TV-Journalist*innen berhaupt erst erfahren, was das alles ist: Slutshaming, Victim-Blaming. Plötzlich können sie sogar sexualisierte Gewalt sagen – und nicht mehr: „sexuelle Gewalt“.

Und jetzt, schon klar, hat es das alles mal wieder gar nicht gegeben, stattdessen wird jeder Fortschritt der #Metoo-Debatte zugeschrieben, und vielleicht noch der „Aufschrei“-Inititative und dem STERN-Artikel.

TV-Journalist*innen haben Szenezusammenhänge immer schon belächelt, nicht relevant genug für die Millionen, für die sie senden. Szene is so dirty, so unstudiert oder überstudiert, so unzielgerichtet auf späteres Geldverdienen, so klein und ungreifbar. Da war bestimmt kein Vater, der gleich mal ein Auto vor die Tür gestellt hat, als man 18 war.

Aber egal: Es ist der Stolz und der Erfolg der Avantgarde, vergessen zu werden und bereits wieder auf den Partys von morgen zu tanzen.

Egal, mal jetzt, wer angefangen hat, über Rape Culture öffentlich zu reden. Sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch sind so furchtbare Vorkommnisse im Leben jeder einzelnen Betroffenen, also ist es natürlich gut, wenn sich so viele Leute wie möglich an der Debatte beteiligen. (Damit sind natürlich nicht die Rechten gemeint, die die Gewalt in ihren Strukturen, ihren Seelen und Körpern auf “die Fremden“ projezieren). Hauptsache, die Menschen mit dem male privilege, die in den Strukturen auf der Seite der Verursacher des Problems stehen, können nicht mehr weghören und sie begreifen endlich, dass es auch ihr Thema ist.

Wie konnten sie überhaupt so lange weghören? Muss es erst massive Sanktionen gegen mächtige Männer geben, damit sie es zur Kenntnis nehmen, dass Frauen, Queers und Transgender auch die Macht haben sich zu wehren?

Oder ist es so: Hollywood muss Welle machen, damit sich hierzulande etwas im Bewusstsein ändert? Ich denke nicht. Ich denke, es ist wie in der Werbung, wenn man den Kampf gegen sexualisierte Gewalt mal kurz als Ware begreifen will, was er natürlich nicht ist, sondern im Gegenteil, aber: angeblich ist es in der Werbung ja so, dass Konsument*innen 13 Mal von einem bestimmten Produkt gehört haben müssen, um es zu kennen, wahrzunehmen und vielleicht sogar zu kaufen.

Die #Metoo-Debatte steht einfach am Ende eines Jahrzehnts voller Bewegungen, die sich gegen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch richten. Und die als Männer gelesenen Menschen haben ziemlich kollektiv endlich wahrgenommen, was die meisten von ihnen vorher immer eher so weggezappt haben (wenn z.B.Statistiken, Artikel oder Demonstrationen, Aktionen etc. zu Themen wie sexualisierte Gewalt irgendwo aufgetaucht sind.)

Und jetzt können sie es nicht mehr ignorieren, wie die Betonköpfe 68 das antiautoritäre Klima, die kritische Auseinandersetzung mit den Hierarchien in der BRD nicht mehr ignorieren konnten. Und weil sie sich dafür schämen, dass sie die ganze Zeit dicht gemacht, weggehört oder gar gebuht haben, bei diesem wichtigen Thema tun sie so als sei es jetzt eben erst, vor einer Minute überhaupt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und damit in ihr eigenes gedrängt. Aber es war in ihrem Unbewussten, in ihrem Vorbewussten, in ihren Handlungen, all die Jahre über. Wenn sie jetzt ganz schnell auf die richtige Seite wechseln und ganz eifrig mitdiskutieren, dann…

Ja, was versprechen sie sich davon? Darf man misstrauisch bleiben? Oder soll man sich freuen? Happy 2018, Herrenmenscheninnendeutschland ist um eine Erkenntnis reicher.

Als wir 2011 den SlutWalk organisiert haben, wurden wir gefragt, ob wir auch ein Thema hätten, vielleicht sogar eine politische Forderung, oder ob wir einfach nur so nackt durch die Straßen laufen wollen.

Es geht gegen Vergewaltigungsmythen und wir wollen den §177 StGB ändern, das Sexualstrafrecht.“

Das, was? Das „S e x u a l s t r a f r e c h t“?

Jetzt gehört es zum guten Ton des (gehobenen) Mainstreams zu wissen, dass ein kurzer Rock keine Entschuldigung für eine Belästigung darstellt, und dass das sogar ein politisches Thema ist.

Mein kurzer Rock hat nichts zu tun mit dir!“ Und mir fällt wieder ein, wie sie damals im Tip den SlutWalk auf Platz 6 bei den „Peinlichen Berlinern“ hatten, auf mich und Sandra heruntergebrochen, weil wir die Sprecherinnen und (Mit-)Organisatorinnen waren.

Lass uns Märchenwesen sein“ war die Überschrift. und es wurde gehöhnt, wir würden das ja alles nur machen, damit uns endlich mal einer auf der Straße hinterher pfeift. Damit hatten sie natürlich zweifelsohne recht: das ist ein Zustand, den wir ja so gar nicht kennen 🙂 Und wenn ich das alles so Revue passieren lassen, fällt mir wieder ein:

Es ist erschreckend, aber wahr: wir haben diesen Scheiß hierzulande wirklich mit als Erstes in die Mainstream-Medien gebracht und sind mit als Erstes ins kalte Wasser gesprungen, mit allen Konsequenzen, zum Beispiel der Hauptkonsequenz: Mobbing allerortens, wie immer, wenn man eine unangenehme Wahrheit ausspricht.

Mein Lieblingsvorwurf war ja immer: wie könnte ihr nur so viel Steuergelder verschwenden für so`n Spaßthema. Seid ihr die neue Love Parade, oder was?

Natürlich, das ganze Engagement, wie immer unbezahlt, unbezahlbar.

Zur Feier des Tages werd ich heute vielleicht doch noch eins der Sommerkleider anziehen, oder den schwarzen Leder-Mini?

 

http://doctorellablog.tumblr.com/post/19311622438/real-men-don-t-rape-hier-ein-paar-schnipsel-aus