L7 - gemalt

Fans (feminin) – und wie sie ihre Feste feiern

Elan

Willkommen im Feld echter, erfundener, erklärter, somehow unerklärlicher Leidenschaften: in einem Bereich, der Traum und Realität vermischt, Produkte mit Namen nennt (Konsumenten eher nicht ), wo der Kitsch sich alle Mühe geben muß, authentisch zu bleiben, während das Authentische einiges dafür tut, nicht in Kitsch abzurutschen. Kurz: es wird etwas anstrengend, dieser Text handelt von Fans!

Emphase

Einer meiner diesjährigen Lieblingssongs findet sich auf einer CD mit dem schönen Titel ›The Beauty Process: Triple Platinum‹, ist von L7, heißt: ›Lorenza Giada Alessandra‹ und geht so: »Lorenza Giada Alessandra, Lorenza Nicola Alessandra, Lorenza Giada Nicola I love you I love you I love you« – das ist der ganze Text. Auch musikalisch ein eher kurz angebundenes, beinahe klassisches Rock ’n’ Roll-Stück: Lorenza, Giada, Alessandra und Nicola, vier Mädchen, die irgendwie, mit Namen und so, bei der Band angekommen sind. Der Song, eigentlich ein einziger Refrain, atmet Aufregung, und so wie Donita Sparks die Namen dieser L7-Fans aussingt, hat ihr Gesangsvortrag etwas Hemmungsloses und Hölzernes zugleich. So also stellen L7 sich das vor: »Fan-Leidenschaft einfach mal zurückgeben«, wie sie sagen.

Pop

Fantum kann ganz schön abgrenzend, also auch rebellisch wirken; schon allein weil der auserkorene Star um so vieles cooler erscheint als alle Jungs in der Klasse. Teenager-Stars – ob früher Mick Jagger oder Boy George, ob Andrew Ridgeley von Wham oder Nick Carter von den Backstreet Boys – wirken oft schelmisch und verletzlich zugleich, tragen Lederjacken zu Milchbuben-Gesichtern, sehen androgyn oder schwul aus, und nähren die Sehnsucht nach einem guten Liebhaber. Sie sind moderne Märchenprinzen – und verkörpern in ihrer komischen Zusammensetzung auch den Traum von perfekter Individualität. Mädchen, die ihr Hingezogensein zu einem dieser Fabelwesen etwa auf einem T-Shirt tragen, stehen zu ihren (eigenen) Wünschen; bringen damit womöglich ältere Brüder oder andere vom Teenager-Mythos Ausgeschlossene zum Staunen – denn »kein echter Mann sieht aus wie Nick Carter«.

Bewegung

Die grundlegende Bedeutung des wundersamen Fabelwesens für die Zeit des Erwachsenwerdens beschreibt Barbara Sichtermann in ihrem Essay ›Ritter-Traum‹. (1) »In der Ritterfigur oder in der Vorstellung des romantischen Liebesabenteuers lebt ja die Idee der Wende und des Neubeginns; es lebt darin die Aussicht auf einen ›Tigersprung aus der Zeit‹, auf eine Auferstehung im Diesseits. Der Ritter erscheint, er bezaubert das schöne Kind und ist von ihm bezaubert – ›mit einem Schlag‹, mit einem coup d’oeil, es genügt ein Blick – er hebt das Mädchen auf seinen Schimmel und reitet mit ihm davon. Nichts ist mehr wie es war, und wie es sein wird, ist noch offen, nur eins ist gewiß: daß weder Vater noch Mutter, die daheim um ihre Tochter weinen, noch wichtig sind, daß die Orte der Kindheit verlassen werden, während das Paar, gewiegt vom Trab des treuen Rosses, seine ersten Küsse tauscht.«
Liegt die Aktivität dieser nur scheinbar altmodischen »Abschieds- und Aufbruchsphantasie« ausschließlich auf Seiten des Ritters/Märchenprinzen?

Die Autorin bietet eine andere Schlußfolgerung an: »Es fehlt ja in der Reihe Ankommen, Aufs-Pferd-Heben, Davonreiten, ein Zwischenstück, es fehlt das Wesentliche: der coup d’oeil, der Augenblick des Sich-Verliebens. In diesem Augenblick des Augenblicks muß auch sie irgendeine Form von Aktivität entfalten, beispielsweise vor die Tür treten, sagen wir, mit einem Krug Wasser in der Hand. Sie muß im Gesichtskreis des Ritters erscheinen, ihn ansehen usw. Im Augenblick des Augenblicks sind beide in etwa gleich aktiv: ansehen, lächeln, flüstern; und gleich passiv: sich ansehen lassen, zuhören usw. Ich setze jetzt natürlich voraus, daß sich das Mädchen wirklich verliebt und mitreiten will.« Vielleicht wollen einige der weiblichen Fans, die »einfach mal einen Blick« auf ihren Star werfen wollen, den »Augenblick des Augenblicks« wagen – sie glauben sicher nicht ernsthaft, daß ihr Idol leibhaftig mit ihnen »davon reitet«, aber es muß einfach etwas BEWEGENDES haben, nach der Zeit des relativ passiven Konsums eine aktive Handlung zu wagen. Auch Sue Wise (2) hat der Auffassung widersprochen, daß weibliche Fan-Praktiken sich durch Passivität auszeichnen und die Mädchen sich selbst degradieren. »Junge Frauen, die bei Elvis-Konzerten tobten und in Ohnmacht fielen, haben Elvis nicht, wie viele männliche Rock-Kritiker vermuteten, einfach nur begehrt. Elvis war für sie auch ein sinnvolles Objekt, um ihre eigenen Sehnsüchte kennen zu lernen und Freundschaften aufzubauen.«

Kreativität

Das ist alles wunderbar- aber leben wir nicht auch in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die es Männern zumindest strukturell ermöglicht, »Frauen jene menschlichen Aktivitäten zuzuordnen, die sie selbst nicht leisten wollen?« (Sandra Harding) (3) Und hat Pop/Rock-Kultur nicht mal versprochen, die Arbeitsteilung durchgängiger (Rock), die Arbeit leichter (Pop) zu machen? Mädchen üben sich in freundlichen Dienstleistungshandlungen, wenn sie liebevoll um die Fotos von Jungs-Stars herum Staub wischen, Bildchen ausschneiden, sie in bunte Mappen heften. Schon mal vorsorglich ein bißchen fürsorglich umgehen mit den Körpern männlicher Eliten. Dabei haben Fans Ideen, für die Menschen später im Erwachsenenleben (manchmal) hohe Gehälter, Ruhm oder künstlerische Credits bekommen. Fans schreiben Gedichte, die vom selben Feingefühl zeugen wie die Songtexte ihrer Lieblingsbands. Sie verbringen ganze Nachmittage damit, Bandcomics zu zeichnen oder Plattencover nachzumalen. Und was wurde eigentlich aus Kay Pashley? Kay Pashley aus Mittelengland, die mit 13 beschloß, den längsten Liebesbrief der Welt zu schreiben – an Duran Duran-Sänger Simon Le Bon. Ihre Freundinnen erklärten sie für verrückt, denn sie schrieb täglich mindestens 2 bis 3 Stunden – auf Tapetenrollen. 2 Jahre später wurde die Presse auf sie aufmerksam – der Brief war bereits 658 Meter lang. Kay Pashley hoffte auf einen Kuß von ihrem Idol.

Entfremdung

Daß Fankultur nicht zur Unterwerfungskultur wird, verdanken die Fans ihrem Elan. Dabei werden Mädchen während ihrer Adoleszenz, wie Carol Gilligan und Lynn Brown in ihrer vieldiskutierten Teenage-Angst-Studie ›Die verlorene Stimme‹ (4) schreiben, wahrlich nicht nur von ihren Idolen mit der Frage »How deep is your love?« konfrontiert. Mit zehn, elf, so Gilligan & Brown, erkennen sie noch genau die »Schönfärberei« der Beziehungswelt. Im weiteren Verlauf der Adoleszenz können sie dann oftmals »nicht mehr zwischen echten und unechten Beziehungen unterscheiden«. Diese Entfremdung klingt, laut Gilligan & Brown, ungefähr so: »die anderen sind nicht nett zu mir, wenn ich nicht nett zu ihnen bin, nämlich genau dann, wenn ich ausspreche, was ich denke.« Die Produzenten von Teenager-Bands werden wissen, warum sie z.B. dem Rocker in Marc Owens Seele nicht allzu viel Spielraum geben. Direktheit verschreckt: »Viele Mädchen«, so Gilligan & Brown, »finden furchtbar, was passieren kann, wenn man ausspricht, was man denkt. Sie haben Angst, mit ihren unerwünschten Gefühlen in dem ganzen Durcheinander alleingelassen zu werden.« Also, nichts wie her mit all den smarten Songs, die ihre Fans mit Elan umarmen:

»Lorenza Giada Alessandra I love you I love you I love you.«

 

Do what you feel if it’s real

 

Eigentlich ist es doch toll, so euphorisch zu sein – und etwas Tolles zu machen euphorisiert. Fans sind toll. Sie stellen ein Interesse in den Mittelpunkt ihres Lebens. Und sie tun häufig etwas dafür: reden, rausgehen, etwas riskieren. Fans konfrontieren (die Gesellschaft) mit ihren Träumen. Fans versuchen, durch den offensiven Umgang mit ihren Heiligtümern einen Traum zu leben – den sie dabei in genauester Verworrenheit ausstellen. Man kann alles gegen sie einwenden und sie bleiben doch toll! Sie sind nicht cool. Sie sind toll. Sie können endlos nerven. Sie wissen nicht, was sich gehört. Sie wissen, wie es sich gehört.

Get a Life: werde Fan oder so. Da Fans für Sachen schwärmen, die Teil von Verteilungskämpfen sind, halten sie das Lieblingsprodukt ihres Vertrauens tendenziell für gefährdet und benachteiligt, sie wollen etwas retten – nicht zuletzt ihre Seele. Fans sind meist davon überzeugt, für etwas Gutes zu sein. Manche zieht’s zum Aufzählreim hin, andere durchlaufen Systeme. Darin liegt aber auch die Möglichkeit, Strukturen klarer zu sehen, so lange mit bestimmten Sounds, Parolen, Stars, auch mit bestimmten Formen des Selbstbetrugs zu leben, bis man mehr Informationen verarbeiten kann, sie besser versteht: Enjoy selbstreflexives Fantum! Die mädchenhaft-erwachsene Art begeistert! Get a Life!

Kichernde gackernde Mädchen haben es nicht nötig, sich von Spielverderbern beibringen zu lassen, wie Mann Haltung bewahrt. Fanjournalismus ist zum Beispiel etwas anderes als herkömmlicher Journalismus. Weit davon entfernt, mellowhaft-grummelnd stolz zu sein auf so ein bißchen Zitat oder Erfahrung aus der anderen Welt, sprechen Fans immer ein wenig aus der Position des Ent-Fremdeten, des freiwilligen Outsiders oder berichten angemessen aufgeregt von ihrem Zusammentreffen mit irgendeiner außerirdischen Welt oder beides. Sie versuchen auf jeden Fall, ihren »gar nicht absurden Ansprüchen« Gehör zu verschaffen. Es geht in ihren Fanzines und Büchern, auch in Songtexten und auf Plattencovern, immer irgendwie um Austausch – von Erlebnissen, Interesse, Ideen. Wie Mädchen manchmal in Fanzines über sich selbst sprechen: cool! Einen Umgang, mal lovely, mal launisch, mit dem Material pflegen und dabei noch wichtige Ideen zu allen wichtigen Themen – von Mißbrauch bis Musik – entwickeln: super! Und wie Jungs sich manchmal in ihren Fanzines zu Kennern über die Materie und das Weltall aufschwingen: sagenhaft! Wie sie dann eigens Kriterien erfinden (»das ist jetzt aber echt postpubertäres Genöle«): locker! Fans (f & m) finden eine andere Sprache für die großen Kleinigkeiten des Lebens und für neue Möglichkeiten von Konsum und Kommunikation. Das gewiefte Textgebräu, called »seriöser« Musikjournalismus, legitimiert sich durch Fantum – sonst wäre das Jonglieren mit Fachkenntnis und das ewige Errichten neuer Frontlinien nur halb so spannend (und noch vermessener).

Leider richtet sich die Musikpresse hauptsächlich an ein männliches Publikum. Mit Discographie und Diskurs-Ausrufezeichen und sehr ernst. Niemand käme auf die Idee, dem Fan (m) einer Drum-’n’-Bass-Platte die kritische Kompetenz abzusprechen, nur weil er die Platte auch irgendwie mag. Das Zusammenspiel von Emotion und Verstand scheint geradezu eine Grundvoraussetzung für »seriösen« Musikkonsum zu sein. Dagegen stehen die Fans (f) – »giggling girls«, »groupie girls«, »girlsgirlsgirls« – im Ruf, unkritisch zu sein, wenn sie euphorisch sind. Hier wird ein Scheinwiderspruch konstruiert, denn Fans zeichnen sich gerade dadurch aus, ihre Bands bis ins kleinste Detail hinein durchzusprechen, vielleicht auch zu zerlegen – was häufig viel genauer ist als Universalkritik zu üben. Fans haben ein Herz auch für etwas, das außerhalb ihrer selbst liegt. Fan-Leidenschaft ist positive Projektion. Fans sind Teil des Ereignisses, und Fans versuchen das Ereignis zu catchen.  Looking in the eye of a hurricane.

Es ist gar nicht so einfach, ein Fan zu sein.

 

1) Sichtermann, Barbara: Weiblichkeit. Zur Politik des Privaten. Berlin 1991
2) Wise, Sue: zitiert in: Walser, Robert. Running with the Devil. Power, Gender and Madness in Heavy Metal Music. Hannover NH 1993. Seite 132
3) Harding, Sandra: Das Geschlecht des Wissens. Frankfurt 1994
4) Brown, Lyn M./Gilligan, Carol: Die Verlorene Stimme. Wendepunkte in der Entwicklung von Mädchen und Frauen. Frankfurt 1994

 

(Kerstin in:  “Lips. Tits. Hits. Power?” Popkultur und Feminismus, Folio 1998, Hrsg: Baldauf/Weingartner)