12 Fragen an Jolly Goods

von Sandra und Kerstin

“Genialität kann genau dort wachsen, wo in der eigenen Welt angeeckt wird!”

Anlässlich ihres Auftrittes bei “Ich brauche Eine Genie” am 20.11. haben wir den Jolly Goods (Tanno Pippi und Angy Lord)  12 Fragen gestellt – ihre Antworten sind genauso spannend und unvorhersehbar wie ihre Musik. Viel Spaß beim Lesen!

1 Wir sind schwer beeindruckt von den vier Songs, die wir vorab von eurem Album SLOW LIFE (das am 17.1.2020 auf Siluh Records erscheint) hören durften. Ihr müsst euch hinter den internationalen Musiker*innen, die in diesem Jahrzehnt Furore machten, wirklich nicht verstecken. ( Wir nennen jetzt mal keine Namen, weil, ihr klingt vor allem wie Jolly Goods. ) Ganz im Gegenteil: die Epik eurer neuen Songs, die Mischung aus Tiefe, Poppigkeit, Ausdrucksstärke und Hymnenhaftigkeit ist atemberaubend. Bzw gibt einem ganz viel Luft zum Atmen und Weitermachen! 

Erstmal also Danke, dass es euch gibt und dass ihr so hartnäckig und ausdauernd Euren Weg geht. Und auch echt grande, dass ihr alles zu zweit gemacht habt: Instrumente einspielen, produzieren, arrangieren, Songs schreiben – und dann auch noch sehr überzeugend außen zu performen, wie das erste Video „Eating Fries“ aus dem neuen Album mal wieder zeigt.

Angy Lord: Danke. Das hören wir gerne.
Tanno: Vielen Dank. Das freut uns sehr. 

 2 Ihr habt euch nicht hetzen lassen, das ist euer erstes Album seit eurem zweiten Album Walrus von 2011. Und das ist auch gleichzeitig das Thema des Albums: eine neue Lust an der Langsamkeit. Im Info betont ihr die Idee hinter der Single „Eating Fries“: „Wie können wir uns der gesellschaftlich produzierten Selbstzerstörung entziehen? Die Einsicht, dass uns all das Gerenne nur wertvolle Energie raubt.“ Wie seid ihr auf dieses Thema gekommen bzw wie habt ihr es geschafft, Wege zu finden, aus der Schnelligkeit hin zur Entschleunigung?

Tanno Pippi: Ich finde es persönlich einfach wichtig Sachen auch mal nicht zu tun. Bestimmtes abzusagen, weil einem klar wird es bringt nicht genug Positives. Manchmal ist an die Wand gucken das Wichtigste was auf einer To Do Liste stehen kann. Alle neigen immer mehr dazu, sich durch zu organisieren, sich selbst zu optimieren, sich selbst zu finden, fleißig und flink zu sein. Zu funktionieren und zwar immer besser und schneller ist aber halt auch irgendwie langweilig und angepasst. Es ist schwer sich dem zu entziehen, der ständige Druck von außen ist so hoch, dass es verinnerlicht wird. Ein Slowlife geht für mich eh nur bedingt, es ist eine Utopie.

Angy Lord: Jeden Tag aufs Neue müssen wir uns dieser Herausforderung stellen. Immer irgendwo lauern Kleinigkeiten die einem nicht nur Zeit rauben sondern auch noch fordern alles in kürzester Zeit zu erledigen. Ist es nicht Wahnsinn, dass Wasch- oder Spülmaschinen ursprünglich erfunden wurden um uns mehr Freizeit zu geben/erlauben? Und wenn wir schauen wie es heute aussieht, ist alles nach hinten losgegangen: Wir haben mehr Zeit zum Instaposten und fb-timeline checken. Privat versuche ich mich aus diesen Netzwerken, die einem vorgaukeln es gäbe 203658 in deiner Freund_innenliste, herauszuhalten, aber als Musikerin oder in einer Band braucht es diese Dinge, sonst bist du mittlerweile relativ unsichtbar. Es ist also ein ständiger Balance-akt.

 3 Ihr beschreibt in dem Song „Eating Fries“, der davon handelt, „lieber spätnachts allein Pommes zu essen, statt auf irgendeiner Party herumzustehen“, wie ihr euch selber beim Essen zuhört; welche Geräusche das macht. Ist es die Stille, die verloren geht, bei all dem Trubel und aller Hetze, Mitmachzwang usw?

Tanno: Stille existiert ja streng genommen gar nicht. Wenn du meinst es ist still, hörst du deinen eigenen Atem oder deinen Herzschlag… ich will eine Verbindung zu den Fragen aufrecht erhalten “Was will ich? Und vor allem: Wieso will ich das? Und macht das Sinn? etc. ” Wie im Outro des Songs “50 E-Mails”: “What are we running from? What are we working for?” Oder bei “Eating Fries”,  mit der Entscheidung eine Party frühzeitig zu verlassen, weil es einem nichts Positives bringt dort zu sein. Self-Care anstatt Party Anekdoten, Pommes anstatt Self-Hate.

 

 4 Eure Songs sind still und laut zugleich, man hört ihnen die Entschleunigung an und will gleichzeitig sich bewegen. Sie sind sehr vielschichtig. Ihr singt gegen Energiesucking. Die Songs geben Energie! Erzählt doch mal einfach mal, wie ihr das geschafft habt. Also wie lief der Prozess des Songschreibens? Des Produzierens? Des Arrangierens? War von Anfang an klar in welche Richtung es gehen soll, oder hat sich das im Laufe der Zeit herauskristallisiert?

Tanno: Das Konzept bei diesem Album war, die Vision die ich von einem Song im Kopf habe bis zum Ende durch zu ziehen. Niemand außer Angy bekam die Songs zu hören, bevor sie nicht 100% fertig waren. Früher war ich oft unzufrieden mit Aufnahmen, aber Leute sagten dann sowas wie “Das ist doch gut so, das ist doch super so.” Dieses Mal wollte ich diesen Input von außen nicht. Bei den vorherigen Alben bin ich Ideen nicht zu 100% nachgegangen. Hier ist das zum ersten Mal konsequent passiert. Es war eine sehr langwierige, aber auch eine schöne und erfüllende Arbeit.  4 ½ Jahre saß ich im Studiokeller –  oder bei mir zuhause – um an den Songs zu arbeiten und diese aufzunehmen. Ich habe zweite und dritte Gitarren, Klavierparts, Synths, Bläserparts und auch Bass geschrieben, ein Instrument, dass bei Jolly Goods bisher nicht so vorkam, und in das ich mich Hals über Kopf verliebt habe… In den 10 Songs steckt viel Detailverliebtheit –  und auch ein bisschen Wahnsinn.

5 Ihr habt ja als sehr wütende Rirl Grrrl Band gestartet, wobei auch da schon eure Musikalität deutlich sichtbar war und da ward ihr sehr sehr jung, also so 17 oder so. Aber eure Wut ist, bei aller angenehmen Opulenz, geblieben. Wird nur nicht mehr so punkig umgesetzt. 
Tanno: Bei den vorherigen Alben ging es mehr um das Abarbeiten an der Scheiße, die so passiert, jetzt geht es viel mehr um die Frage: Wie gehe ich mit der Scheiße um? Was mache ich mit der Scheiße? Und das sollte eher was Schönes werden. Aus Scheiße was Schönes machen.
6 Ihr kommt, genau wie wir, deshalb erwähnen wir das, aus dem Odenwald 🙂 Ihr aus dem hessischen Teil, wir aus dem Baden-Württembergischen. Am Anfang habt ihr viel übers Rauskommen aus dem Dorf gesungen usw. Ist Berlin mittlerweile auch so etwas wie ein Dorf für euch geworden? Wo eine*r raus will? Und was inspiriert euch an Berlin?
Tanno: Ich fühle mich sehr wohl in Berlin und will hier nicht wegziehen. Wenn ich Songs schreibe, schreibe ich Musik und Text meist zusammen, mich überkommt ein Zustand und ich lasse diesen zu. Ein stream of consciousness. An Berlin denke ich dabei nicht. Wie Sleater-Kinney singen “There are no cities to love / It’s not the cities / It’s the way that we love.”
Angy Lord: Hätte Berlin ein Meer wäre ich mir sicher, dass ich bleibe… Mittlerweile denke ich, dass es egal ist wo mensch wohnt. Wichtiger ist, was du machst und ob du dich dabei gut fühlst.
7 Ihr veröffentlicht auf einem Wiener Label (Siluh Records); habt in Amsterdam, Kairo und Paris gespielt, mit Peaches gearbeitet, ihr singt auf Englisch. Könnte eine*r sagen, die Jolly Goods haben es nicht nur aus dem Odenwald raus geschafft, sondern auch aus Deutschland raus? Wie organisiert ihr das? Welches Gefühl soll das Internationale auslösen?
Tanno: Wir spielen gerne dort, wo es nette Leute gibt, die uns sehen möchten. Es freut uns sehr, wenn wir es auch mal nach draußen schaffen. Das ist sehr spannend und wir würden gerne noch mehr außerhalb Deutschlands spielen.

8  Wie sieht es bei euch mit der Aufgabenteilung untereinander aus? Ihr bezeichnet euch als „Sisters-Dreamteam.“ Wie arbeitet ihr gemeinsam an Songs?

Angy Lord: Bisher war der Ablauf so, dass Tanno mit neuen Songs in den Proberaum kam und ich dann dazu Drums ausarbeite.

Tanno: Der Aufnahmeprozess vom neuen Album lief so ab, dass Angy die Drums eingespielt hat und ich daraufhin in meinem Kämmerchen die Melodieinstrumente. Die Texte habe ich dann auch nochmal überdacht, verändert und stellenweise neu geschrieben. 

9 Ihr habt zwischen den Alben auch an eigenen Solo-Sachen gearbeitet, Angy hat z.B. solo Klavier-Konzerte gegeben. Wie wichtig ist es euch, euch auch voneinander abzugrenzen?

Angy: Tatsächlich ist es, nach all den Jahren des Schwestern-Seins, gemeinsam teilen und erleben; wichtig, auch eigene Erfahrungen zu machen! Wir sind ja keine eine Person, sondern zwei mit unterschiedlichen Interessen, Ideen und Bedürfnissen. Meine Musik ist daher der Ausdruck von meinem Erlebten, meinen Gedanken und der Verarbeitung dessen.

 

10 Bei Jolly Goods hat eine*r auch immer das gute Gefühl, dass die Grafik stimmt, eure Plattencover und Videos sind Teil des Gesamtkonzeptes, stimmt das?

Tanno: Ja, auf jeden Fall. Ich bin ein visuell interessierter Mensch und finde gerne Wege bestimmte Inhalte irgendwie bildlich darzustellen. Da ich auch als Fotografin und Künstlerin aktiv bin, fließt das so ineinander über.

11  Ihr seid bisher die einzige Band, die wir zum zweiten Mal zu einem ganzen Slot  zu „Ich brauche eine Genie“ einladen. Wir sind schon sehr gespannt auf das Konzert, ihr werdet zum ersten Mal mit Bassistin auftreten. Was erwartet uns?

Angy Lord: Ein gutes Konzert!

12 Wisst ihr, warum die Leute von Schwestern-Bands so fasziniert sind? Vielleicht, weil  eine eingeschworene Gemeinschaft erwartet wird, die von außen nicht so einfach zu stören oder zu beeinflussen ist?  Und was denkt ihr über den Mythos der „verrückten, versponnenen Schwestern.“ Wir finden dieses Attribut eigentlich ganz erträglich (natürlich mitunter auch nervend und stereotypisierend, gerade wenn eine als Frau* gelesener Mensch das abkriegt), weil wir denken, dass „genial“ nicht so weit davon entfernt ist. In seiner ganz eigenen Welt sein ist ja eigentlich etwas, was künstlerisch wertvoll ist. Wie seht ihr das?

Angy Lord: Ähnlich. Ich denke das Besondere ist, dass jede die Wunden der Anderen kennt. Diese können weh tun oder auch nicht. Das bedeutet, dass Streitereien auch in der eingeschworenen Gemeinschaft ihren Platz finden, was aber fruchtbar sein kann für Veränderung, Weiterentwicklung oder eben auch mal Stagnation. Genialität kann genau dort wachsen, wo in der eigenen Welt angeeckt wird.