Bildnis der Dichterin als junge, schüchterne Frau

von Kerstin

Wir könnten hier ja auch mal einen Text von mir veröffentlichen, der mir peinlich ist. Aber da ich ihn vor acht Jahren geschrieben habe, finde ich ihn jetzt gar nicht mehr so schlimm, er hat irgendwie eine interessante „Atmosphäre“ 😉 zumal nicht, wenn ich ein Zitat aus einem (relativ) aktuellen Roman voranstelle.

„Ich denke manchmal, dass Introvertierte, die sich beigebracht haben, extrovertiert zu sein, die effektivsten Menschen auf der Welt sind.“ (Meg Wolitzer „DAS WEIBLICHE PRINZIP“, Roman, Dumont, 2018)

 

An einem Tag für rote Schuhe darf man sich nicht verstecken. Kopf-in-den-Sand stecken gilt genauso wenig wie unhinterfragtes, wütendes Mitmachen. Mona will nicht mehr länger als schmollende, selbsternannte „Prinzessin der Boheme“ vor sich hinträumen, und genauso sehr verachtet sie die „Anpassungsbereitschaft,“ wie sie es nennt, der anderen Action-Helden.

Es sind ihre neuen roten Pumps, aus nicht gerade teurem, „wilden“ d.h. imitierten Leder, die in Mona das Gefühl verstärken, dass sie wieder mutiger werden muss, unerschrockener. Einfach weiterschreiten – über die eigenen Abgründe (und die der anderen) hinweg, als gäbe es das Böse nicht; diesen Himmel voller Arschgeigen, die schweigen, während Menschen ihrer Rechte beraubt werden und leiden. Die neuen Schuhe erinnern Mona an ihr Leben vor der mental Illness. Diese Schuhe, die passen wie angegossen, obwohl sie doch hoch sind, beinahe High Heels schon, und die Farbe – ein gieriges, hellrotes Leuchten, als würde ein Feuer um die Beine toben. Mona lässt sich gerne von Kleidungsstücken den Weg in die Zukunft weisen.

Es ist ein Weilchen her, dass jede, jeder und jedes in der Stadt sie für jemand anderen halten wollte. Es ist sicherlich Gras über die Sache gewachsen. Andere Cool Cats sind gekommen und gegangen oder gekommen, um zu bleiben. Die Feste wurden gefeiert, wie sie fallen. Die Wikipedia-Seite zum Thema „Manische Depression“ ist sieben mal überarbeitet worden, seither; es heißt jetzt „bi-polare Störung“ – und das ist verwirrend, weil Mona sowieso meint bi zu sein; und jetzt also auch noch bi-polar. Soviel Ärger mit der Identität war eigentlich gar nicht vorgesehen, das stand nicht auf dem Stundenplan. Auf dem stand nur: „am Werk sein“, egal wie. Es gibt auch eine Menge neuer Einträge über „psychotische Schizophrenie.“ Für Mona klingt diese vollständige Krankheitsbezeichnung immer so, als ob sie sich die Schizophrenie nur eingebildet hätte. Und da war sicher etwas Wahres dran; nur dass sie sich nicht die psychotische Phase an sich eingebildet hatte, sondern alles, oder vielmehr FAST alles, was darin vorgefallen war. Dieses „fast“ war das Problem: was, wenn einiges von dem wirren Kopfsalat aus Bedrohungszenario und Action-Film sogar STIMMTE? Instagram hat die Bildmacht übernommen, vielleicht erinnert sich gar keiner mehr an Mona?

Eine griechische Göttin, eine kindliche Kaiserin, ein rastlos schlafendes Dornröschen, oder schlicht immer noch und immer weiter: die Zukunft des Rock`n Roll, eine schreibende Edie Sedgwick oder Verdana Spuk, wer auch immer das sein mag. Sie haben mich vergessen, hoffentlich, denkt Mona. Um eine Projektionsfläche zu werden hat Mona lediglich jede Nacht in den richtigen Bars herumhängen (das war leicht, es gab nur einen Tresen) und jeden Monat in der Zeitschrift veröffentlichen müssen (auch das war einfach, denn es gab nur eine.) Es gibt solche Mädchen, noch ehe sie die Schule verlassen haben, sind so viel Schwachsinn und so viele Frauenfiguren auf sie projiziert worden, und das nur, weil sie die Klappe aufreißen, ohne ihr wahres Selbst in Sicherheit zu bringen. Sie tragen ihr Herz auf der Zunge, und sie verlieren es nur, um es am nächsten Morgen um halb zwölf wieder zu gewinnen.

Die Männer verzweifeln an Mona, und die Frauen noch mehr. Mona ist eine Frauenrechtlerin, und sie ist die schönste Frau der Welt. „Lurchies Rache“ widmen ihr das legendäre Album mit dem 13 Liebesliedern. Weiteren Song-Dichtern ihrer Generation steht sie Modell. Eine heilige Hure, eine schutzlose Kriegerin, eine bedeutende Schriftstellerin. Sie verwechseln Mona mit ihren Träumen, und sie spielt mit als würde sie das alles nichts angehen. Sie nimmt die Spiele der anderen wahrscheinlich nicht einmal zur Kenntnis.

Im verschwenderischen Rosengarten der Eppendorfer Psychiatrie ist Mona einmal mit einem Mädchen ins Gespräch gekommen, das dachte, es sei Nietzsche, und das befürchtete, nie mehr aus der Anstalt entlassen zu werden. Bei Mona ist es vergleichsweise harmlos gewesen. Sie hat einmal eine Valium geschluckt und dann augenblicklich aufgehört sich für eine Maus im Zweiten Weltkrieg zu halten. Bis die Halluzinationen wieder kamen; immer neue Ideen, wer man sein könnte, wenn die andern einen so bevorzugt behandeln und dabei unablässig beleidigen. Seitenweise Selbstgespräche führen, während man in leichten, flatternden Kleidern um die winterhellen Häuser zieht. Bei exakt den Leuten Schutz suchen, die einen am meisten verletzen. Schlaflos davonlaufen, in die Arme von unbekannten Taxifahrern, weil man sich für Jodie Forster in „Taxi Driver“ hält. Stimmen hören, die einem befehlen mit dem Taxifahrer zu schlafen, während der glaubt man sei eine Raverin aus Ost-Deutschland. Und wer zu bodenständig ist, um derlei Spuk zu begreifen, oder zu abgehoben, der wird von den Songdichtern, sanft, aber ungnädig, darauf gestoßen, dass es etwas Höheres gibt: höhere Mächte, höhere Wesen, andere Zeiten…“