Luise Meiers “Mrx Maschine”: Sabotiert was euch sabotiert!

Oder: die Angst davor abzufucken

Mein Lieblingsbuch des JAHRES

von Kerstin

Man identifiziert sich nicht mit den Teilnehmerinnen am Wettbewerb, sondern mit der Jury. All die Kränkung, die der bewertete Körper, die bewertete Stimme, die bewertete Performance, die duellierende Politikerin erfährt, übersetzt sich für die Zuschauerinnen in die Macht derjenigen, die die Regeln kennen und das Urteil fällen. Uns wird das Angebot gemacht, dem Selektionsdruck zu entgehen, in dem wir uns selbst zu den Selektionsbeauftragten aufschwingen. Mit jedem Like, das wir vergeben, mit jeder Evakuation, mit jeder Kundenbewertung, mit jeder konstruktiven Kritik, mit jedem Tinder-Wisch, wenden wir die Situation ab, mit der wir selbst ins Visier geraten.“

Jetzt freue mich mich ganz besonders – am Ende des Jahres – nochmal auf mein Lieblingsbuch des Jahres hinzuweisen. Es ist, of course, MRX MASCHINE von Luise Meier, die auch auf beiden unserer Veranstatungsreihen aufgetreten ist mit hinreißender Lesung aus ihrem Wahnsinnsbuch.

Kurz was zur Biographie: Luise Meier, freie Autorin, Studienabbrecherin und Servicekraft, geboren 1985 in Ostberlin. Studium der Philosophie, Kulturwissenschaften, Literaturwissenschaften und Sozial- und Kulturanthropologie in Berlin und Frankfurt (Oder). Gedrucktes: MRX Maschine ist im Februar 2018 im Verlag Matthes & Seitz Berlin erschienen. 

Während ich das Luise Meier Buch gelesen habe, war nicht mehr viel mit mir anzufangen. Gut also, dass Luise Meier ihre Leser*innen“ für die Zeit der Lektüre krankgeschrieben hat. Es sei „ein geheimer Gruß an alle Verweigerer und Blaumacher.“ Yeah! Mit diesem Buch durfte ich mein „inneres Proletariat aktivieren“ und Zusammenhänge von Selbstoptimierung und Markt durchschauen, die mir vorher marktökonomisch keinesfalls klar waren. Meier schreibt z.B. von „einer privaten Fabrik, in der Männer und Frauen ihrem Zweitjob nachgehen, in der Ausbildung von Weiblichkeit und Männlichkeit.“

Ein furioses Manifest, in dem sie feministische, antirassistische, post-koloniale Kämpfe überzeugend mit der Marx`schen Theorie zusammendenkt.

Willkommen also, in der MRX Machine!

Das Proletariat ist nach erfolgreicher Selbstoptimierung weggepudert, wegfrisiert, abgewaschen, überwunden. Wenn ich mich einmal zusammengerissen habe, wo versteckt sich das vormals Un-Zusammengerissene?“

Meier schreibt, dass sich viele Menschen austauschbar, ohnmächtig fühlen. Die Verwechslung der eigenen Ohnmacht, und der Ohnmacht aller anderen Arbeiter mit der Ohnmacht des Kapitals, diese seltsame Identifikation mit dem Boss, ist eine höchst widersprüchliche Angelegenheit, die aber gerade aus ihrer Widersprüchlichkeit die Produktivität für das Kapital ziehe.

Sie legt Wert darauf, dass es nicht „die eindimensionale Ausbeutung“ gäbe: „Die Ausbeutung durch die Schaffung einer Hierarchie der Ausbeutung ist das entscheidende Charakteristikum des Kapitalismus. Die Methode des Teilens und Herrschens wird effektiver, sobald zwei Gruppen nicht nur gegeneinander ausgespielt sondern auch noch in ein hierarchisches Verhältnis zueinander gesetzt werden“.

Auch deshalb sei Solidarität so wichtig. Den Kapitalismus sozusagen mehrfach zurück- diskriminieren, sabotieren…

Denn die Frontlinie verlaufe weniger zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem, als zwischen Kollaboration und Widerstand. Sie sei angesiedelt im Zwischenraum von Adornos „Wahr ist nur, was nicht in diese Welt passt“ und dem „Macht kaputt was Euch kaputt macht“ von Ton Steine Scherben.

Und das heißt doch wohl, wir können doch schon ganz konkret etwas tun, indem wir uns einfach, kurz gesagt, nicht mehr zusammenreißen, sondern lernen uns zusammen zu schließen und zu teilen.

Sie schreibt viel darüber, dass wir alle verwaltet werden, und wie wir von neoliberalen Zwangs-Systemen zum Selektionsbeauftragten gemacht werden, der selber die Selektion vornimmt, um nicht mehr auf der Seite der Beherrschten zu sein (siehe das Zitat am Anfang!). Mir erklärt es jedenfalls einiges:

Kommt daher die unerträgliche Affirmation von Mainstream-Pop und Erfolgsgeschichten jeglicher Art, die in diesem Jahrzehnt auch die “Pop-Linke” befallen hat? Immer schön auf der Seite des Erfolgs und der höchsten Klickzahlen bleiben. Die Angst vor Underground  – und eventuell damit verbundener Brotlosigkeit und Ortlosigkeit –  hat selbst diejenigen erfasst, die früher für Underground-Werte eingestanden wären, also diejenigen, die die Nischen und Lebensstile jenseits des Mainstreams als Erfolg empfunden hätten.

Aber heute spricht man nicht mehr empathisch davon, “eine Szene aufzurufen“, sondern man hat sein eigenes persönliches Netzwerk, mithilfe dessen man sich berufliches (oder auch privates) Weiterkommen verspricht. Netzwerk hat Szene ersetzt, so wie Projekt  eines festen Bandgefüge. Als wäre auch das vom Markt aufgelöst worden in tausend Einzelindividuen, vor deren Scheitern nun wiederum es der Musikjournaille gruselt, weshalb sie manipulierbar ist durch hohe Klickzahlen. Von denen aber auch keine_r weiß, ob diese nicht gefakt sind. Das zu hinterfragen hat der gestresste Kulturjournalist / die gestresste Kulturjournalistin keine Nerven mehr, weil er oder sie dann nicht mehr wüsste wo oben oder unten ist.

Auch deshalb ist Kulturjournalismus heute vielerorts – und vor allem im Printbereich –  zu einem autoritären Projekt geworden, das mich persönlich ankotzt. Und schlechte Laune macht. Genaugenommen die schlechte Laune derer, die gar nicht schnell genug auf die Seite der Selektionsbeauftragten wechseln können. Und die sich vor der eigenen gefühlten Austauschbarkeit nur noch durch Erfolgsmeldungen derjenigen Musiker_innen retten, über die sie schreiben. Es ist heutzutage eben keinem mehr egal ob die Platte, die sie gutfinden, sonst nur noch weiteren acht Leuten gefällt. Warum eigentlich? Weil es eben wahr ist, was Luise Meier schreibt!!

Der Sinn dieses Blogs besteht für mich u.a. darin, den Blick wieder auf die Teilnehmenden am Wettbewerb zu lenken, auch wenn die Tatsache, dass ich dafür gefeiert werde, mich wohl auf die Seite der Jurymitglieder hieven will. No way! Ich bin auch Wettbewerbsteilnehmerin,weil ich Musikerin und Schriftstellerin bin. Aber zurück zum Buch:

Banal gesagt: Luise Meier schärft den Blick dafür, wie sehr all die Scheußlichkeiten; von Sexismus, Rassismus, Homophobie, Faschismus und Klassismus; all die Themen, mit denen wir uns so viel beschäftigen; von der kapitalistischen Logik durchdrungen sind.

Die Furcht vor dem Prinzip der Selektion und Auslöschung wird durch die Identifikation mit dem Prinzip verdrängt. Das schreibt sie über das nationalsozialistische Deutschland. Selektion als „Grundzug von Faschismus und Feindproduktion“ und auch als soziale Folge der schlagartigen Modernisierung und Rationalisierung der Gesellschaft in den Zwischenkriegsjahren, im Nationalsozialismus durch die Versicherung abgefedert, dass der damit verbundene Ausschluss nur die Anderen trifft, dieses Anders-Sein müsse für den Verwaltungsapparat überhaupt erst dingfest gemacht werden.

Die Selektion trifft diejenigen nicht, die zur Klasse, Rasse der Selektierenden gehören, sie stellt ein Angebot dar sich gegen die ent-individualisierende Masse zu behaupten.

Stop Selektion now!!!

Ich hatte die ganze Zeit das Bedürfnis alle Sätze zu unterstreichen und auswendig zu lernen.

Sie bedient sich dabei der Cutting-Up-Techniken, die sich im Dada oder bei Bourroughs wiederfindet. „Aus den Schnipseln entsteht Remix, aus den Schnipseln auch des Cutting Ups von Männlichkeit“ entstehe: Remix, Improvisation, Reparatur, Queerness.

Ich hab ein einfaches Beispiel für Cut Up-Technik, als ich die mal verwendet habe:

Als ich mein Musikbuch/Geschichtenbuch „Zungenkuss“ geschriebe habe, wo ich das Gefühl hatte, da sind ja jetzt die Texte meines bisherigen Lebens drin. Wie soll ich das zusammenfassen? Ich bin am Vorwort verzweifelt, weil ich keine stringente Ordnung gefunden habe. Dann hab ich mich auch der Cut Tup Technik von Bourroughs bedient. Ich habe einfach alle Thesen oder kleinen netten Abschnitte auseinandergeschnitten und in loser, zufälliger Eihenfolge wiederzusammengsetzt. Also keine Hierarchisierung von Bedeutungen.

Aber so chaotisch wie mein Vorwort ist dieses hochintelligente, toll gebildete, aber nicht verbildete Luise Meier-Buch dann doch nicht, es gibt viele rote Fäden.

Auch wenn ich es, in der ersten Euphorie des glücklichen, die Wahrheit-Lesens eben doch cut-up; durcheinandergelesen habe. Dabei zeigt MRX Machine eben doch schon in der Form, dass alle Unterdrückungserfahrungen gleich wichtig, das heißt natürlich: gleich scheiße sind, dass es keinen Haupt und Nebenwiderspruch gibt.

Plus: Es ist ein Buch, das radikal das Internetzeitalter mit seinen Likes und Rankings, sozusagen die Ökonomie von Kauf und Verkauf, das Markgeschehen im Internetzeitalter mit Versatzstücken, Ideen von Marx, Feminismus, Post-Kolonialismus zusammendenkt.

Also verabscheide ich mich aus dieser kleinen Review mit einem Satz aus dem Buch, denn ich habe mich ja jetzt auch schon der MRX Maschine Bewegung angeschlossen: „Potenz, Penetration und Ejakulation sind in Warenform gegossener Sex, der zur besseren Abrechenbarkeit verdinglicht wird. Was ausgebeutet, was bearbeitet wird, ist die Angst vor Abweichung, die Angst davor abzufucken. „Mit der Setzung von Potenz als Standard des Pornos wird aus der Angst vor dem Versagen Profit geschlagen“ Und: „Marx Maschine produziert aus der Pornografielinse gesehen nur Outtakes. Über alle Bereiche, auch dem sexuellen, verwendet sie den Begriff der „privaten Fabrik“.

In diesem Sinne verabschieden wir euch, und machen Lust auf noch mehr Outtakes einer gestressten Moderatorin.

Me and Luise bei “Krawalle & Liebe” am 6.9.2018 @LfBrecht-Haus.

Outtakes:

“Die Idee von der großen Liebe, oder vom erfüllten ungebundenen Sex, reizt dauerhaft zur Arbeit am Selbst. Das sich auf dem Markt, auf dem potentiell alle gegen alle austauschbar sind, behaupten muss.” S. 158

“Das Gegenüber wird mehr und mehr zum angstbesetzten Gegner. Den es mittels trickreicher und gekonnter Manöver, Techniken und Methoden zu bezwingen gilt. Die gesunde Beziehung, der One Night Stand, selbst die gelungene Freundschaft sind Felder der kalkulatorischen Überlegungen und des Erfahrungsabgleich. Die Grenzen unseres persönlichen Wachstums sind die anderen, die wir widersprüchlicherweise als Konkurrenten ausschalten aber als Konsumenten befriedigen müssen. Gegen diesen Widerspruch wird die Zweigeschlechtlichkeit eingesetzt: Die Mitglieder des eigenen Geschlechts werden zu Konkurrenten, die des anderen zu Konsumenten.”

“Das Beziehungsideal, das uns von der Beurteilungsunterhaltungsindustrie vorgelebt wird, ist das der Vorarbeiterin, Polizistin, Erzieherin. Man kontrolliert die Arbeit der anderen, seiner Partnerin, seiner Kinder, seiner Freundin. Sie müssen gut genug sein die eigene Position nicht zu gefährden, aber als Urteilsinstanz, als Beraterin und Coach bleibt man selbst immer in der höheren Position. Die anderen sind Werkzeuge. Man identifiziert sich nicht mit den Teilnehmerinnen am Wettbewerb, sondern mit der Jury. All die Kränkungen, die der bewertete Körper, die bewertete Stimme, die bewertete Performance, die duellierende Politikerin erfährt, übersetzt sich für die Zuschauerin in die Macht derjeigen, die die Regeln kennen und das Urteil fällen. Mit jedem Like, mit jeder Kundenbewertung, uns wird das Angebot gemacht dem Selektionsdruck zu entgehen, in dem wir uns selber zu den Selektionsbeauftragten aufspielen!”

Der Gegensatz von feminin und maskulin durchwirkt alle Bereiche der bürgerlichen Gesellschaft.“

Menschen, die zu Frauen erzogen werden, trifft der Markt immer noch anders. Silvia Federicci hat die marxsche Kapitalkritik um die Kritik des Patriarchats ergänzt. Wollte man Federiccis Analyse in eine Parole oder eine Formel gießen, könnte es diese sein: Frauen wurden für Männer zu Waren. Und Männer wurden für Frauen zu Arbeit.

Frage an Luise Meier: Du sagst Cutting Up als Ausschneiden und Abschneiden ist ein Leben im Sich Einrichten in den Bruchstellen (S. 176). Du redest jetzt an dieser Stelle nicht über Utopien, sondern darüber was jetzt schon möglich ist. Wir reden ja nicht darüber was wir irgendwann machen, wenn alles ganz toll ist und der Kapitalismus abgeschafft ist, sondern wie wir heute schon stören und sabotieren können. In der ZEIT haben sie ja die Beispiele vermisst. Wären Beispiele nicht die Geschichte von Dissidenz? Es macht auch Mut, weil es zeigt, dass eine*r doch als einzelne*r was machen kann, zum Beispiel dadurch beim System nicht mitzumachen.

Sandra: Ist es denn nicht gut, FB und soziale Netzwerke für Aufstand und Sichtbarkeit von Personengruppen, die sonst unsichtbar oder nicht ausreichend öffentlich sprechen dürfen, zu nutzen?

Im Gegensatz zu den Rechtspopulisten, die sagen „Ja, genau, ihr habt den weißen männlichen Arbeiter in eurer Identitätstheorie vergessen“ und die damit ja, mit Katja Kipping aus der aktuellen SPEX ja nur sagen, dass es die Männer sind, die als erstes nur über Ökonomie reden und nicht über Identität…

Endlich geht’s mal um den Markt, dieses Argument ist von den Rechten gekapert worden. Stichwort seit Trump ist das Argument wieder vermehrt zu hören.

Kerstin: Sie schreibt auch über die Gegenwart.

Omipräsentes Ranking:

Kerstin: Das wirkte nur wie Blaumachen. Eigentlich hatte ich das Gefühl, ich will selber zu dieser MRX Machine werden.Das brachte mich dazu noch mehr zu arbeiten, alles abzutippen, zu unterstreichen, nochmal zu lesen, als ob ich mich mit Parolen ausstatten wollte für die nächste 10 Demonstrationen oder Jahre!

Und die stellt sie uns jetzt vor, mitsamt der tollen Formel: „Fuck Up + Solidarität = Revolution.”

 

Luise Meier Lesung bei “Ich brauche eine Genie, Vol 6” am 26.10.18