Sex, Mikrowellenpizza & Rock`n`Roll – “Invisible Republic” von andcompany im Hebbel am Ufer

Eine Theater-Review von Rafik Will

Was ist überhaupt noch mit dem Begriff Revolution anzufangen?  Am Berliner HAU hatte „Invisible Republic“ von andcompany&Co. am Wochenende Premiere

Wenn im Lauf der Geschichte schon zig Revolutionen nach hinten losgegangen sind, BMW mittlerweile die „Silent Revolution“ ausgerufen hat und sich in Sachsen ein rechtes Terrornest „Revolution Chemnitz“ nennt – was ist dann überhaupt noch mit dem Begriff „Revolution“ anzufangen? Klare Sache: aneignen und mit neuem Leben füllen!

So lässt sich vielleicht die Empowerment-Agenda von „Invisible Republic“ grob zusammenfassen. Das neueste Stück vom Berliner Performance-Kollektiv andcompany & Co., das am Wochenende im Berliner Hebbel am Ufer (HAU2) Premiere hatte, schaut mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die Epic Fails progressiver Gesellschaftsumwälzungen. Aber nicht, ohne vorzuschlagen, was man denn in dieser verkehrten Welt richtiges machen kann. Hashtag und Untertitel lauten passenderweise: #stilllovingtherevolution.

Erstmal werden die alten Geister wieder heraufbeschworen. „Invisble Republic“ setzt die Novemberrevolution 1918 und die globale 68er-Bewegung in Bezug zum potentiellen Revolutionsjahr 2018. In passender Verkleidung (es folgen noch viele weitere fixe Kostümwechsel) muss Nina Kronjäger als Rosa Luxemburg bei Daniel Cohn-Bendit (gespielt von Mira Partecke) und dann auch noch beim Publikum eine gewisse Revolutionsmüdigkeit feststellen. Erstmal schleppt Luxemburg Cohn-Bendit in die Schwitzhütte des von Pappmaché-Flammen und Feuersymbolik geprägten Bühnenbildes ab, um rumzumachen.

Es bleibt aber die Frage: Was ist los, weshalb die Downer-Stimmung? Allgemeine postrevolutionäre Depression? Da lässt sich was ausrichten. Denn mit der richtigen Haltung wird daraus ganz einfach eine revolutionäre Depression. Als Wegweiser dient hier die von Luise Meier in ihrem jüngst erschienen Buch „Mrx Maschine“ aufgestellte Formel: Fuck Up + Solidarität = Revolution!

Denn auch eine Depression ist ja nichts anderes als das nicht-mehr-Mitmachen beim emotionalen Lächelstress der Dienstleistungsgesellschaft. Es gilt hat nur, Fuck Up und Solidarität richtig zu verteilen. Die Devise lautet also nicht einfach nur Scheiße bauen, sondern Scheiße bauen, um zum Beispiel dem Profitstreben der Arbeitgeber durch drastisches Absenken der Kundenzufriedenheit einen Strich durch die Rechnung zu machen.

 

 

Und nicht vergessen: die Solidarität! Die wird dann den anderen Ausgebeuteten und Marginaliserten zuteil. Wie zum Beispiel auch die vier Schauspielerinnen – außer Partecke und Kronjäger sind noch Claudia Splitt und Mariana Senne mit vollem Körper- und Stimmeinsatz am Start – demonstrieren, die mittlerweile längst aus ihren historischen Kostümen geschlüpft und zu Riot-Grrrls an Gitarren und Schlagzeug mutiert sind. In der zur Mikrowellenküche umfunktionierten Schwitzhütte wird gemeinsam Pizza zubereitet. Auch Care-Arbeit kann revoutionär sein.

Und dass eine Weltrevolution dringend Not tut, daran lässt der Abend keinen Zweifel. Gründe dafür gibt es mehr als genug. Etwa den weltweiten Rechtsruck, wie er sich derzeit in Brasilien zeigt, wo diesen Monat gewählt wird und das brasilianische Trump-Pendant Bolsonaro an die Macht kommen könnte. Düstere Zeiten, die wir nur alle zusammen durchstehen werden – by the way: wer ein utopisch grundiertes „Wir“ sein könnte, wird bei „Invisible Republic“ auch untersucht.

Als eine wesentliche Inspirationsquelle des Stücks von andcompany & Co (die übrigens auch Mitinitatoren der Glänzenden Demo sind) wird „MRX Maschine“ am Sonntagabend geehrt, indem die Autorin Luise Meier nach dem Stück (Beginn 17 Uhr) im Artist Talk mit den Leuten von der andcompany zu hören sein wird. Was, das ist ja schon heute Abend? Keine Angst, „Invisible Republic“ gibt es morgen nochmal im HAU (Beginn 19 Uhr), danach geht das Stück auf Tour (http://www.andco.de/termine/).

Und Luise Meier kann man bald auch wieder sehen, sie kommt am 26.10. zur Veranstaltung „Ich brauche eine Genie“ in die Kantine am Berghain um dort aus „MRX Maschine“ zu lesen.

Das mit dem Lesen von “MRX Maschine” sollten Revolutionsfreaks aber sowieso machen, damit die nächste Revolution keine Werbekampagne wird!