Pop-Kultur-Festival & Haiyti: Ein Future-Deja-Vu!

Ein Erlebnisbericht

von Kerstin & Sandra

Manchmal muss auch die Blogmama (Kerstin ) mal etwas anderes machen als den Blog. So Kleinigkeiten wie z.B. bei 32 Grad (oder waren es 38?) Möbel in der Wohnung umräumen und die Bücherregale neu sortieren. (Endlich mal alle Banana Yoshimoto, Irmgard Keun und Stephen-King-Bücher hintereinander). Ich liebe es, im Sommer meine Wohnung neu herzurichten. Ich kann das nur, wenn die Temperaturen über 30 Grad sind, mit dem herrlichen Gefühl, dass gleich draußen noch ganz viel Tolles passiert.

Und, yippieh,  so war es dann auch: Wir waren auf dem Pop-Kultur-Festival, über das Stephanie Grimm in der TAZ einen so allumfassenden schönen Text geschrieben hat, dass sich die Blogmama & Co  ganz auf ihre eigenen Erlebnisse konzentrieren können. Highlights des Festivals waren für uns auf jeden Fall das Haiyti-Konzert am Ende und die erfrischende Eröffnungsrede von Katja Lucker zu Beginn!

Außer Konkurrenz: der Veggie-Burger und der Kaffeestand, wo man auch nachts um 12 noch Cappuccino mit Zimt kaufen konnte. In Verbindung mit den heißen Temperaturen und den heißen Grußbekanntschaften all überall (Facebook und Instagram live! 🙂 )  war allein das schon ein Sommernachtsträumchen.  Aber das Thema dieses Blogs ist ja bekanntlich “Frauen, Queers und Transgender” in der Musik, Gender überhaupt, und so fühlte es sich ein bisschen an wie eine wahrgewordene Utopie auf einem Festival zu sein, wo sogar mehr als 50 % Frauen* spielten, und das dabei aber gar kein ausgesprochenes “Frauen*”-Festival war.

Dass Diversität für sie „kein Feigenblatt“ ist, hatte Musicboard-Chefin und Festival-Leiterin Katja Lucker bereits bei ihrer hinreißenden Begrüßungsrede am Festival-Mittwoch gesagt. „Wir meinen das wirklich ernst, wir wollen, dass das ein Festival für alle ist.” Von völlig neuen Erfahrungen und Erlebnissen war die Rede.

Und tatsächlich, die Gebärden-Dolmetscherin Laura M. Schwengber zeigte gleich an Ort und Stelle, dass wir hier wirklich neue (Musik-)Erlebnisse haben konnten! Wann hat man je bei einem Konzert / Festival (wie z.B. bei Kat Frankies “Bad Behaviour”- Commisioned Work- Aufführung) eine Gebärden-Dolmetscherin sehen dürfen? Sehr aufregend, berührend und, ja,  auch ein bisschen toll-irritierend, wie das aussieht, wenn eine für jedes Wort ein besonderes mimisches Zeichen macht, als könnte man Musik in Gesten übersetzen. Und wenn ich mal ganz ehrlich bin, hab ich bisher eher nie darüber nachgedacht, ob und warum gehörlose Menschen auch zu Konzerten gehen – und diese Ignoranz meinerseits ist ganz schön traurig!  Bis zu jenem Moment eben. Und voilá, das war es: ein neues Erlebnis! Laura M. Schwengber war ein bisschen sowas wie der heimliche Star des diesjährigen Pop-Kultur-Festivals. Und weil sich dieses Festival ungern wiederholt, hatte man 2018  sogar mehr als 50 Prozent weibliche* Artists gebucht. Das gab einen dicken Extra-Applaus. “Weil Diversität keine Einbahnstraße ist. Weil es nicht reicht, wenn nur das Publikum divers ist.”

Und wenn man mal ganz ehrlich ist, ist ja jetzt gar nichts passiert: die Frauen* sind weder über ihre hohen Schuhe gestolpert, noch haben sie sich auf den Gitarren vergriffen, ihre Texte vergessen oder die Bässe nicht laut genug gedreht. Hey, das sind ja ganz „normale“ Musiker: wie du und ich : ) Aber dass sie es nicht können, war ja eh immer nur eine Ausrede. In Wahrheit ist eben doch was passiert: mehr als 50 Prozent Männer weniger haben Slots und damit Ruhm und Geld bekommen. So ist das, wenn Demokratie Ernst genommen wird. Und das ist, wie wir hier beim Blog nicht müde werden zu betonen, leider viel zu selten der Fall.

Wie wir alle wissen, sind Festivals hierzulande nach wie vor zu fast 100 Prozent zu 92 Prozent mit Männern  besetzt. Und wie unverschämt das gegenüber all den tollen Musikerinnen (+ auch gegenüber dem Publikum) ist, ließ sich an diesen heißen Tagen im August, an denen Madonna ihren 60. Geburtstag feierte (und dann leider mitten an Madonnas Tag die Soul-Königin Aretha Franklin starb) nur allzu gut fühlen!

Und apropos: da wir das Vergnügen hatten, eine  Stunde lang Programm für Radio1 zu machen (aufgrund unseres “Madonna und Wir. Bekenntnisse” Buch von vor 10 Jahren als sie 50 wurde)  und in die Madonna-Spezial-Sendung von Steen Lorzenzen eingeladen waren, war die “Queen of Pop”  die ganze Zeit  in unseren Köpfen mit dabei!  Die Sendung, in der wir über Gegenspielerinnen und Nachfolgerinnen von Madonna redeten (M.I.A., Hole, Beyoncé) und in der wunderbarweise auch Doctorella lief (denn schließlich passt es ja wie Faust aufs Auge “Du bist immer noch mein Idol, nimm mich mit auf deinen Thron), kann man hier nachhören:

https://rbbmediapmdp-a.akamaihd.net/content/d3b62641-b9c1-4669-b6fa-71fa80c7ee09_da7da942-41b0-486b-b6c1-bce6423524cd.mp3

Back to Pop-Kultur:

Auf jeden Fall finden wir die Vorstellung toll, dass all die Jungs, die beim Pop-Kultur-Festival in Berlin waren, das Erlebnis hatten wie es wäre, wenn gleichermaßen Frauen und Männer sichtbar würden beim Musikmachen. Und dass sie diese Wahrnehmung weiter tragen werden, kann schon mal dafür sorgen, dass einer  pinkfarbene Strähnchen wachsen, sprich:  Anlass zur Hoffnung machen! Im Indie müsste die Weltverbesserung doch eigentlich gut aufgehoben sein, Fortschritt, Innovation und Vielfalt (gepaart mit Rebellion) waren doch immer ihre Steckenpferde…warum nur ist dieser Kampf so schwer, dass man -aus berufenem Munde –  schon wieder hört, einige hätten sich beschwert, es wäre jetzt mal wieder gut, mit den vielen Musikerinnen (Gut, für wen?).

Unsere persönliche Favoritin war ja Haiyti, auch wenn es mich in der Vergangenheit genervt hat wie negativ sie generell in Interviews über Frauen* redet. Umso mehr habe ich mich darüber gefreut, aber auch gewundert, wie viel weibliche* Fans sie hat. Wahrscheinlich haben die alle ihre in dieser Hinsicht bescheuerten Interviews nicht gelesen, und sollten es auch nicht tun: die Musik ist ja super.

Wenngleich ihr Universal-Debut leider ein bisschen kommerzieller ist, als der geile Shit, den sie vorher gemacht hat, but: so what!  Toll war die Stimmung bei „Angst“, im letzten Drittel kippte sie endgültig ins Übereuphorische um. Und wir mochten sehr, diesen Song, den sie selber als „deprimierend“ ankündigte, und der vom Leben mit Drugs und Kriminalität am Hamburger Hauptbahnhof handelt. “Haben wir aus dem Programm genommen, aber ihr mögt den vielleicht“. Genau so war es! Und das ohnehin schon begeisterte Publikum, jedenfalls in den ersten paar Reihen, wurde noch begeisterter, ob so viel Deepness und Traurigkeit. Das Besondere an Haiyti ist ja nun mal, dass sie es schafft, in kurzen dadaistischen Limericks ganze Gefühlsvulkane zum Ausbrechen zu bringen und Lebensgeschichten von A-Z zu erzählen. Wie zum Beispiel in dem grandiosen Song „American Dream“. Haiyti spannt völlig gut den Bogen von „manisch“ zu „depressiv”, der die Millenials und die noch Jüngeren so grungy auszuzeichnen scheint 🙂

Scheinbar sind die Leute, die in den 1990ern geboren wurden einfach auch ein bisschen wie die Neunziger: wenn das nicht eh erstens) immer so ist mit den Generationen und zweitens) dann doch eine grobe Verallgemeinerung ist. Auch wenn manche es zu flach fanden: Haiyti hat einen ganz eigenen Style. Sie glaubt an die Macht ihrer Worte und der darin transportierten Gefühle und Bilder. Aber was sollen wir hier auch groß rumreden: wir sind natürlich absolut anfällig für NDW-Trap. Und dass sie den so ganz ohne ausgestellte Pop- Show darbot (einziger Partner auf der Bühne: der DJ), war erhebend. Weil die Songs selber und ihre Performance natürlich, es hergeben! Danach wurde auf dem „All Genders“ – Klo darüber gerätselt, ob man unter so einer Perücke denn nicht schwitzt. Und überhaupt die Perücke, herrlich: Zebra mit pinkfarbenen Spitzen. Nächste Woche geh ich zum Friseur und mach mir auch so eine Frisur 🙂

Die Haiyti-Mimesis war nach dem Konzert gleich im vollen Gange. Nach dem Auftritt traf man uns und Rafik nur noch im Haiyti-Reimschema an. Und wir nötigten den Kollegen Göres sowie den Ex-Spex-Chef  ( 🙂 Arno sich unsere überdrehten Limerick-Kreationen  im Stile von „Mein Onkel war ein Mafioso” anzuhören. Arno schenkte uns noch ein Kraftwerk-Zitat: „Sparn, sparn, sparn auf der Autobahn, Spex sells on the road. ”

 

Haiyiti: Trappt vom Future-Deja Vu und von Pralinen und Rosen.

Beitragsfoto: Thomas Venker (Kaput Mag) und Kerstin freuen sich wie die kleinen Kinder, dass sie auf dem Foto aussehen wie urbane Hippies, die auf Coachella campen. Thomas ist besonders stolz auf die eingefangenen Lichtreflexe und das Stilleben in der Mitte.